Graham Nash

März 2016 / Seite 2 von 2

Andererseits schrieben Sie damals auch Protestsongs wie „Chicago“, in dem es an prominenter Stelle heißt: „We can change the world.“ Den Song spielen Sie bis heute.

Ich glaube auch bis zum heutigen Tag daran, dass man die Welt verändern kann, und zwar mit allerkleinsten Beiträgen. Denken Sie an Mohamed Bouazizi: Das war dieser tunesische Gemüsehändler, der immer von der Obrigkeit drangsaliert worden ist. Eine Polizistin wollte Geld von ihm, und als er sich weigerte, schlug sie ihm vor den Augen seiner Freunde ins Gesicht. Sie beleidigte ihn dermaßen, dass er sich selbst anzündete und damit die tunesische Revolution und den Arabischen Frühling auslöste.

Wobei die meisten Leute vermutlich lieber die Welt mithilfe von Musik, Drogen und Frauen verändern würden, statt sich dafür anzuzünden. Zumal noch in den Sternen steht, wohin der Arabische Frühling führt.

Mag sein, aber es wird besser! Veränderung liegt immer in der Luft.

Glauben Sie, dass der Mensch an sich gut genug ist, um diese Veränderung positiv zu gestalten?

Ich glaube, dass die Menschen furchtbar verwirrt sind, und dass sie vielfach durch Angst kontrolliert werden. Politiker nutzen das aus, indem sie ihnen ein Feindbild präsentieren. Man schaue sich Donald Trump an. Ihm zufolge müssen wir uns nicht nur vor mexikanischen Vergewaltigern, sondern auch vor muslimischen Flüchtlingen fürchten. Er möchte elf Millionen illegale Einwanderer deportieren lassen, was man sich mal auf der Zunge zergehen lassen muss! Wie macht man elf Millionen illegale Einwanderer ausfindig? Wie trennt man sie von ihren Familien? Von ihren Kindern, die als amerikanische Staatsbürger geboren worden sind? Das Gefährlichste an Donald Trump ist, dass er auf niemanden hört, er ist vollkommen beratungsresistent. Und es gibt eine reelle Chance, dass er Präsident wird, was eine verheerende Aussicht ist. Unglücklicherweise ist Trump brillant darin, Fraktionen gegeneinander auszuspielen. Es ist alles eine Show. Er schüttet sich das Wasser ins Gesicht und tut so, als sei er Marco Rubio. Andere Präsidentschaftskandidaten unterhalten sich öffentlich über die Größe ihrer Penisse. Aus europäischer Perspektive muss das Land gerade sehr seltsam aussehen.

Sie warben 1972 für den Präsidentschaftskandidaten George McGovern, der haushoch gegen Nixon verlor. Später machten Sie sich für Jimmy Carter stark, der ebenfalls bei einem Großteil der Bevölkerung unbeliebt war. Was sagt Ihnen das?

Es sagt mir, dass es Millionen von Amerikanern gibt, die nicht so helle sind. Oder die keine Schulbildung genossen haben. Im Unterschied zu damals bin ich heute nicht mehr so zuversichtlich, was mein Menschenbild angeht. Es wird zunehmend der Teil in uns angesprochen, auf den wir nicht so stolz sein können. Der Teil beispielsweise, der Angst vor dem Fremden hat. Ich dagegen fürchte mich vor dem Wiedererstarken der rechten Kräfte. Nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa und sogar in Deutschland. Wo doch gerade die Leute hierzulande wissen müssten, wo das hinführt.

Woher kommt dieser Rechtsruck Ihrer Meinung nach?

Ich denke, es ist Angst. Die Leute erkennen, dass sie keine Macht haben, vor allem nicht im Angesicht der global agierenden Wirtschaftskonzerne.

„Man muss schon ziemlich vernagelt sein, um nicht zu erkennen, wofür Donald Trump steht und ihn trotzdem wählen zu wollen.“

Die jemand wie Bernie Sanders im Zaum halten könnte?

Sicher. Er ist ein Mann in meinem Alter. Ich kenne ihn schon seit vielen Jahren, weil er nicht erst seit gestern von der zunehmenden Ungleichheit der Einkommen spricht. Er war immer schon einer von uns, und damit meine ich: normale Menschen. Menschen, die ihre Familien ernähren und ihren Kindern eine gute Zukunft sichern wollen. Die nicht in drei Jobs gleichzeitig arbeiten wollen, um halbwegs über die Runden zu kommen.

Diesen Wunsch könnte man Donald Trumps Unterstützern natürlich auch zutrauen.

Das stimmt, aber wenn das so ist, dann stellen sie sich nicht besonders geschickt an. Man muss schon ziemlich vernagelt sein, um nicht zu erkennen, wofür er steht und ihn trotzdem wählen zu wollen. Sanders ist mein Mann, aber wenn er nicht nominiert wird, werde ich für Hillary stimmen. Hauptsache kein Republikaner. Im Ernst: Donald Trump, Ted Cruz oder Marco Rubio? Diese gehässigen Personen sollen unsere besten Leute sein?

Um also noch einmal mit einem Ihrer aktuellen Songtexte zu fragen: „Whatever happened to All You Need Is Love?“

Ich glaube, die Liebe wurde plattgemacht, und zwar von großen Konzernen. Wir brauchen einen neuen Sozialismus.

Unter diesem Namen sind im 20. Jahrhundert schon mehrere Ideologien bankrott gegangen. Was stellen Sie sich heute darunter vor?

Sozialismus bedeutet, dass man auf sich selbst achtgibt, aber auch auf seine Umgebung, seine Familie, seine Freunde. Dass man Kinder dazu ermutigt, mehr über die Welt herauszufinden. Dass man seinen Müll wegräumt. Ich denke, man muss auf der persönlichen Ebene anfangen, bevor man die Welt verändert. Man muss sich selbst verändern. Man muss die Veränderung sein, die man selber sehen will.

Das klingt zur Hälfte esoterisch und zur Hälfte nach alten Obama-Slogans.

Jackson Browne und ich haben mal ein Benefizkonzert für Obama gegeben, bevor er Präsident wurde. Er hat eine Rede gehalten, und als er damit fertig war, kam er hinter die Bühne, um sich mit uns zu unterhalten. Ich fragte ihn: „Wollen Sie wissen, was die drei wichtigsten Worten waren, die Sie heute gesprochen haben?“ Er sagte, „Ja. Welche?“ Ich sagte: „Das war, als die Wahlhelferin zu Ihnen sagte: ‚Sie schaffen das!’ und Sie antworteten: ‚Nicht ich. Wir.’ Mit dieser Einstellung werden Sie Präsident der Vereinigten Staaten.“ Was er dann auch wurde. Er wusste, dass er alleine gar nichts bewirken kann, sondern nur wir alle zusammen. Nicht auszudenken, was Obama alles hätte erreichen können, wenn die Republikaner und ihre Mehrheiten nicht jede einzelne seiner Entscheidungen torpediert hätten.

Sie scheinen die Nähe von Staatsoberhäuptern und Würdenträgern zu suchen. Vor sechs Jahren wurden Sie von der Queen mit dem OBE ausgezeichnet. Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?

Ich habe viele Freunde, die der Meinung sind, dass die Monarchie etwas sehr Archaisches ist, das inzwischen nicht mehr existieren sollte. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich mich stolz gefühlt habe, als ich im Buckingham Palace Ihrer Majestät gegenüber stand. Und zwar nicht um meinetwillen, sondern stellvertretend für meine Eltern. Als sie dann noch dazu überging, mich nach den Hollies zu fragen, war ich erst recht baff. Da stehe ich der Königin von England gegenüber, und sie will wissen, wie es meiner alten Band geht! Ich wusste nicht einmal, dass sie die kannte.

Wäre in der sozialistischen Zukunft denn Platz für eine Monarchin?

Nein, vermutlich nicht. Aber wenn man bedenkt, dass ihn ihrem Blut die DNS von tausend Jahren britischer Herrschaft fließt, ist das schon ein besonderer Moment, ihr gegenüberzustehen.

Vielleicht tragen Sie ja auf der anderen Seite noch ein bisschen DNS von Robin Hood in sich. Das wäre dann historisch genauso denkwürdig.

Ja. Vor allem wäre es insgesamt ein schöner Gedanke.

Zur Person

Graham Nash wurde 1942 in Blackpool in Nordengland geboren. 1962 gründete er mit seinem Schulfreund Allan Clarke die Beat-Gruppe The Hollies, die er sechs Jahre später zugunsten der Allstar-Band Crosby, Stills, Nash & Young verließ. Die Formation gehörte zu den erfolgreichsten Exponaten der Woodstock-Generation, ihre US-Auftritte von 1974 stellten seinerzeit die größte bisher dagewesene Stadion-Tournee überhaupt dar. Anfang des Jahres gab es ein privates Großreinemachen: Nash verkündete die endgültige Auflösung der Band und trennte sich nach 38 Jahren Ehe von seiner Frau. Mit seiner neuen Partnerin, der Fotografin Amy Grantham, wohnt der dreimalige Vater inzwischen in New York.

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