Musik

Neuerscheinungen der Woche

Joy Denalane "Gleisdreieck"

Nesola/Universal, 03.03.2017

Joy Denalane ist die Grande Dame des deutschen Soul. 1999 legte sie mit Max Herre und „Mit Dir“ den Grundstein ihrer Karriere. Es folgten drei Alben, die ihre Soulwurzeln nach und nach weiter in den Hintergrund stellten und mehr Platz für R’n’B und Hip-Hop machten. „Gleisdreieck“ treibt diesen Prozess auf die Spitze und vereint ein buntes Mosaik verschiedener Musikstile. „RotSchwarz“ lässt mit wabernden Synthies und Schlagzeug-Echos Achtziger-Flair aufkommen. Für „So Sieht Man Sich Wieder“ hat Denalane mit Tua nicht nur ein Mitglied der HipHop-Combo Orsons mit an Bord, sondern versucht sich auch selbst am Sprechgesang. „Vorsichtig sein“ erinnert –abgesehen von der Sprache – stark an Alicia Keys’. Trotz der vielen Experimente hat Denalane ihr Gefühl für das Wesentliche nicht verloren. In „Zuhause“ fragt sie ihre verstorbene Mutter nur von einer Akustik-Gitarre begleitet um Rat, wie sie dem aufkommenden Fremdenhass begegnen kann. Gerade diese Verwundbarkeit ist die große Stärke von „Gleisdreieck“. Katharina Raskob

Foto: Eva Baales / Vertigo Berlin


Neue Meister: Live in Berlin

Edel, 03.03.2017

Langsam aber stetig wird der Klassik endlich der Staub vom jahrhundertealten Mantel geklopft. „Neue Meister: Live in Berlin“ leistet dabei gute Arbeit. Für die Konzerte trafen sich die Stars der Neoklassik, um zu drei Themenschwerpunkten zu komponieren und arrangieren. Das musikalische Schaffen porträtiert beispielsweise Federico Albanese mit seinem Klavierstück „Shadowland Suite“, das mit neo-romantischer Schwere berührt. Grenzen überschreitet Matthew Herbert mit „Further“, das feine Streicherklänge mit Live-Samples kombiniert und so einen ganz eigenen Kommentar zur Flüchtlingskrise abgibt. Beim letzten Konzert setzten sich die Künstler mit ihren Vorbildern auseinander, sodass bei Ben Palmer die „Bach Dreams“ entstanden, während Francesco Tristano für „Neihou“ zweifellos der Detroit Techno als Inspiration diente. Tristano lässt Orchester und Klavier zu einem mitreißenden Beat verschmelzen, zu dem man kaum stillsitzen kann. Das Großartige: Das funktioniert im Berghain genauso wie in der Philharmonie. Katharina Raskob


Nick Cave & The Bad Seeds "One More Time With Feeling" (DVD)

Rough Trade, 06.03.2017

Nick-Cave-Fan wird man nicht zufällig, deswegen wissen sie auch alle von der Tragödie. Vor zwei Jahren starb einer seiner Söhne nach einem Sturz von einer Klippe, Interviews hat der australische Sänger seitdem nicht mehr gegeben. Das holt er nun in einer Umgebung nach, die ihm so viel Schutz wie möglich bietet. „Ein Trauma“, sagt Cave und räumt mit einem verbreiteten Vorurteil auf, „wirkt sich verheerend auf die Kreativität aus.“ Zusammen mit seiner Band wagt er trotzdem den Versuch. Die Arbeiten am sakral anmutenden Album „Skeleton Tree“ verfolgt Regisseur Andrew Dominik aus gebotener Distanz, doch die Songs richten trotzdem etwas mit der Magengrube an. Zwischendurch kommt der Musiker zu Wort: „Ich sehne mich danach, eines Tages eine Plattitüde wie ‚In meinem Herzen lebt er weiter’ verwenden zu können, aber das haut nicht hin“. Er ist in meinem Herzen. Aber er lebt nicht.“ Man ertappt sich bei der Frage, ob Kunst den Künstler heilen kann wie ein Arzt, der sich selbst verarztet. Und wünscht sich genau das. Markus Hockenbrink