Musik

Musiktipps der Woche

Arcade Fire - Everything Now

Columbia/Sony, 28.07.2017

Arcade Fire Arcade Fire, das war zu Beginn der Karriere eine Band, die das ganz große Drama auf die Bühne brachte: Bis zu einem Dutzend Musiker spielten euphorisch-traurige Musik über die Probleme des Jungseins. Im Zentrum: Régine Chassagne und Win Butler, beide heirateten früh und erlebten, wie ihre Band immer größer und größer wurde. „Everything Now“ ist das fünfte Album der Gruppe. Schon die Werke zuvor hatten nur noch wenig mit Radaurock zu tun, die letzte Platte klang wie ein fiebriger Voodoo-Disco-Traum. Das Titelstück des neuen Albums legt nun wieder eine andere Fährte: Plötzlich klingt die Band nach ABBA, sogar Panflöten gab es zu hören, ein Instrument, das nur noch in der Fußgängerzone von Groß Gerau für Begeisterung sorgt. Was hat diese Band vor? Nun, Arcade Fire haben den Pop für sich entdeckt, wahlweise beeinflusst von Electro, Funk oder Soul. Das Besondere: Win Butler ist so wenig ein Soul-Sänger wie Groß-Gerau eine Kulturmetropole. Das Konzept muss also scheitern – und ist deshalb so grandios.

André Boße


Peter Perrett - How The West Was Won

Domino, 30.07.2017

Peter Perrett Als Sänger der Punkband The Other Ones war Peter Perrett eine Art Vorabversion von Peter Doherty: Der Konsum harter Drogen gehörte zur Show, das Publikum begaffte den Verfall des großartigen Sängers und Songschreibers. Dieser spielte mit und ließ sich sogar eine eigene Gitarre mit Hohlraum bauen, in der er den Stoff versteckte. Nach dem Aus der Band verschwand Perrett vom Radar, kaum jemand wusste, was der dünne Typ macht, man befürchtete Schlimmes. Umso erfreulicher ist die plötzliche Rückkehr mit einem fantastischen Album in diesem Jahr. Darauf zu hören sind sehr weise Songs über Drogen, vor allem aber über die Liebe. Denn, das wird klar: Diese hat sein Leben gerettet. Besonders stark ist der Titelsong, Perrett analysiert die Popkultur von heute, in der er zwar keinen Platz mehr findet, die er aber gerne kommentiert. Das Lied klingt wie ein bislang unveröffentlichter Hit von The Velvet Underground, Perretts Stimme ist zwar brüchig, sein Gesang passt aber super zu diesen zerschossenen Hymnen.

André Boße


Randy Newman - Dark Matter

Nonesuch/Warner, 04.08.2017

Randy Newman In einem Alter, in dem sich die Bob Dylans und Johnny Cashs den Umhang des lebensmüden Schmerzensmannes überstreifen, trägt Randy Newman weiterhin Hawaiihemd. Das kann mit der froschigen Stimme des Songwriters zusammenhängen, vielleicht aber auch mit seiner musikalischen Heimat. Die war seit jeher eher in Showtunes und Broadway-Musicals zu suchen als in introspektiven Folk- und Country-Neuauslegungen, weshalb „Dark Matter“, sein erstes komplett neues Album seit 19 Jahren, es mit der Dunkelheit auch nicht übertreibt. Stattdessen dominieren Songs, in denen sich Newmans patentierter Humor mit sentimentalem Schmelz abwechselt. Zu den Highlights gehören die achtminütige Minioperette „The Great Dabate“, in der Darwin und Gott gegeneinander ausgespielt werden, sowie das entwaffnende „She Chose Me“, in dem der 73-Jährige über die Positivbilanz seines bisherigen Lebens staunt. Noch fluffiger ist höchstens die Surfer-Fabel „On The Beach“, in der sich die Pazifikbrandung bis in die Seele vorzuspülen scheint.

Markus Hockenbrink


Starsailor – All This Life

Cooking Vinyl/Sony, 11.08.2017

Starsailor Auch wenn es die Linie nicht geben mag, die man zwischen den Punkten ziehen möchte: 2017 ist schon jetzt das Jahr der unverhofften Wiedergeburt im Indie-Pop. In wenigen Wochen erschienen neue LPs von geliebten Neunziger-Helden wie Slowdive und The Jesus & Mary Chain, von Black Grape und Ride – allesamt Grundkoordinaten der damaligen Popwelt. Starsailor gehören nur bedingt in diese Aufzählung: Die Gründung der Band im britischen Wigan (Heimat von Richard Ashcroft, deren The Verve sich nun auch schon eine Weile nicht wiedervereint haben) fiel nur so eben noch ins alte Jahrtausend, ihr Nachhall ist relativ gering. Und doch oder gar gerade drum: Die Welt ist mit den wahrlich unschuldigen, hoffnungsvoll altmodischen Soul-Pop-Songs des Comeback-Albums „All This Life“, das trotz erfolgreicher Zeiten im heimischen Großbritannien wohl kaum aus finanziellem Kalkül zustande gekommen sein dürfte, fraglos ein kleines bisschen wärmer. Die heutigen Wunden der Welt mögen andere benennen. Hier werden sie geheilt.

Friedrich Reip