DVD & Blu-ray

Junges Licht

Weltkino · 18. November

Memoiren einer Spurlatte

Adolf Winkelmann hat mit seinen Filmen den Mythos Ruhrgebiet befördert. In der Ralf-Rothmann-Verfilmung „Junges Licht“ zeigt er die Kehrseite des Kohlenpotts.

Gelegentlich blitzt unter Tage Humor auf. Zum Beispiel, wenn Bergmann Walter Collien (Charly Hübner) sich mit einem Kumpel über die Malaisen seiner Frau austauscht. „Is wat Seelisches, sacht der Arzt“. „Wat is datn jetzt?“, fragt der Kollege fassungslos. „Hat wat mit Gefühlen zu tun.“ Männerdialoge im Dunkeln. Weniger lustig ist die vorangegangene Szene, in der Walter seine Frau mit gefrorenem Spinat verdrischt, weil sie wegen ihrer Depression nicht aus dem Bett gekommen ist und das Kochen vernachlässigt hat. Solche Momente geben eher den Ton an in „Junges Licht“, Adolf Winkelmanns Verfilmung des 2004 erschienenen Romans von Ralf Rothmann, der um 1960 im Pott spielt und aus der Perspektive des 12-jährigen Julians erzählt ist. Für Regisseur Winkelmann ist „Junges Licht“ aber nicht bloß eine Coming-of- Age-Story, sondern eine Erzählung über die Kinderjahre der Republik, eine Epoche, geprägt vom Aufschwung, aber auch von der Sprachlosigkeit der Soldatengeneration. Und wenn geredet wurde, gab es nur ein Thema. „Jeder meiner Lehrer hat in der letzten Stunde vor den Ferien von seinen Kriegserlebnissen erzählt“, erinnert sich Winkelmann, verklärt „zum großen Abenteuer“. Ein Zettel seines verstorbenen Schwiegervaters verzeichnet „Länder, die ich in meinem Leben besucht habe“. Da denke unsereins an Urlaub. „Bei ihm waren es Länder, die er während des Russlandfeldzugs durchquert hatte“. „Der Rothmann ist in Oberhausen-Sterkrade groß geworden, ich in Dortmund. Wir haben diese merkwürdige kleine Welt erlebt, die man sich in Zeiten von Facebook gar nicht mehr vorstellen kann. Wie wenig Informationen wir hatten, wie eng das alles war!“ Ahnlich wie der 12-jährige Julian hätten sie nicht reingepasst in diese brutale Arbeiterwelt, vor allem nicht als „Spurlatte“, Ruhrgebiets-Slang für lange dünne Menschen und ursprünglich Bezeichnung der Führungen für die Förderkörbe in den Schächten. „Junges Licht“ kratzt am Mythos vom herzensguten Malocher-Revier, den Winkelmann mit „Die Abfahrer“ (1978) und „Jede Menge Kohle“ (1981) selbst erschaffen hat. Fragt man ihn nach den verbliebenen Vorzügen des Potts, startet er einen kenntnisreichen Vortrag, der im Lobgesang einer Mentalität gipfelt, die sich gegen den Untergang stemmt: „Die ganze Region liegt durchschnittlich 15 Meter tiefer als vor dem Kohleabbau. Das heißt: wir müssen bis in alle Ewigkeit pumpen, wenn wir weiter hier leben wollen. Sonst kriegen wir nasse Füße.“

Unser Fazit: „Junges Licht“, in ruhigen Einstellungen und im Wechsel zwischen Schwarzweiß und Farbe gedreht, fügt sich großartig in Adolf Winkelmanns Jahrzehnte überspannendes Ruhrgebiets-Oeuvre. Der Regisseur romantisiert das harte Malocher-Milieu in keiner Szene, bricht die Schwere aber immer wieder auf und schafft Freiräume für zärtliche und hoffnungsvolle Momente.

Patrick Wildermann