DVD & Blu-ray

Bolschoi Babylon

Polyband · 28. Oktober

Denkt man ans Bolschoi, kommen einem sogleich die Unbeschwertheit und Virtuosität klassischer Tanzkunst in den Sinn. Weniger modern als traditionsbewusst, tragen Heerscharen von Ballerinas in Tütü und die athletisch-ranken Meistertänzer der Compagnie die Seele der russischen Ballett-Literatur hinaus in die Welt. All das spielt in „Bolschoi Babylon“ kaum eine Rolle. Es sind Intriganten, Neider, Funktionäre und die große Politik, die hier die Bühne betreten – fähig und willens über Leichen zu gehen. Am 17. Januar 2013 wurde der damalige künstlerische Leiter des Bolschoi Balletts, Sergei Filin, Opfer eines Säureattentats. Er wurde dabei lebensgefährlich verletzt und dauerhaft im Gesicht entstellt. Der investigative Dokumentarfilm des Briten Nick Read nimmt dieses Ereignis zum Anlass, um Seil- und Machenschaften hinter den Kulissen des russischen Vorzeige-Kulturbetriebes aufzuzeigen und deren Funktionsweise zu ergründen. Erstaunlich unverblümt geben dabei alte und neue Verantwortungsträger über persönliche Animositäten und politische Konzeptionen Auskunft. Diese konterkarieren den herausragenden künstlerischen Wert des Moskauer Balletts zunehmend. Die Co-Produktion von BBC, arte und BR Fernsehen schildert das alles sehr eindrücklich und valide, bleibt allerdings ein wenig zu nüchtern, um trotz dieses absurden Theaters wirklich mitzureißen.

Jörg Gerle