Musik

Billy Bragg & Joe Henry

Shine A Light – Field Recordings From The Great American Railroad

Cooking Vinyl / Sony · 23. September

Es ist eine Schande: Statt die Vereinigten Staaten über ein modern ausgebautes Eisenbahnnetz zu durchqueren, zotteln die Amerikaner zu Flughäfen und warten dort stundenlang in den immer länger werdenden Schlangen am Sicherheitscheck. Auch kurze Bahnstrecken gibt es immer weniger: Wenn möglich, wird das Auto genutzt. Der öffentliche Personennahverkehr gilt als Zumutung. Das ist traurig und bedenklich, zumal das kulturelle Erbe Amerikas voller großartiger Werke über die Eisenbahn ist. „Zwei Fremde beim Boarding“? Eher keine gute Idee. Roger Thornhill und Eve Kendall in Hitchcocks „Der Unsichtbare Dritte“ in der letzten Szene nicht als Ehepaar im Schlafwagen eines Zuges, sondern in einem Auto? Wie unromantisch. Besonders groß ist der Einfluss der Eisenbahn auf die Musik. Der Zug ist das Symbol für den Aufbruch und die Flucht. Der Brite Billy Bragg und der US-Produzent und Songwriter Joe Henry sind beide seit jeher für einen sozialistischen Wertekonservatismus bekannt. Dass sich die beiden nach der Produktion von Braggs jüngstem Soloalbum „Tooth & Nail“ nun diesem Eisenbahnprojekt widmen, ist eine wirklich stimmige Idee. Für „Shine A Light“ bestiegen die beiden Männer mit ihren Gitarren in Chicagos Union Station den „Southwest Chief“-Zug mit Endziel Los Angeles. Fahrtzeit: 43 Stunden für knapp 3.600 Kilometer. Immer dann, wenn es sich anbot, packten Bragg und Henry die Gitarren aus, sangen alte Blues-, Country- oder Folksongs über die Eisenbahn und nahmen diese auf. Nun werden diese Sessions zwischen den Gleisen als Album veröffentlicht: eine klingende Postkarte aus dem Wilden Westen, die unweigerlich dazu führt, dass man sich darüber informiert, wie teuer so eine Reise durch die Staaten mit dem Zug eigentlich ist. Die positive Überraschung: Mit 140 Dollar ist man dabei.

André Boße