Kino

30.05. | Kinotipp der Woche

Alle die du bist

30.05. | Kinotipp der Woche  - Alle die du bist

Foto: Contando Films / Studio Zentral


Wie ein wilder Stier

Der wohl ungewöhnlichste Liebesfilm des Jahres kommt aus Deutschland. »Alle die du bist« zeigt die Romantik am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Paul (Carlo Ljubek) ist mal wieder ausgerastet. Und das ausgerechnet vor einem wichtigen Bewerbungsgespräch. Seine Kollegen können mit solchen Situationen nicht umgehen, und Paul eigentlich auch nicht. Deshalb hat er sich nun im Keller verbarrikadiert, und man ruft seine Frau zu Hilfe. Nadine (Aenne Schwarz) wirkt schroff, aber kompetent. Sie klettert in den Kellerverschlag, ruft nach Paul und findet einen schwarzen Stier vor, den sie zärtlich in die Arme nimmt und zu beruhigen versucht. Gleich die ersten Szenen von Michael Fetter Nathanskys Beziehungsdrama »Alle die du bist« fesseln mit einer ungewöhnlichen Atmosphäre und einem filmischen Kniff, der gleichzeitig fantastisch und emotio-nal aufrichtig wirkt. Denn Nadi- ne sieht Paul je nach Gemütslage nicht immer als ihren erwachsenen Partner, sondern auch als trotziges Kind, als flapsigen Teenager, als gutmütige Großmutter – oder eben als wilden Stier. Das ist nicht nur ein Hinweis auf seine seelische Labilität, sondern auch auf ihre. In Rückblenden begegnen wir Paul und Nadine im Anfangsstadium ihrer Beziehung. Beide arbeiten im rheinischen Braunkohlerevier; er ein leutseliger Charmeur, sie eine alleinerziehende Mutter, die aus Brandenburg zugezogen ist. Nur Paul kann Nadines harte Schale knacken, und ihre Liebe wirkt auf verschrobene Art perfekt. Doch mit der Zeit kommen Nadine die Gefühle abhanden, ohne dass sie weiß weshalb. »Alle die du bist« ist wie viele gute Filme eine Erzählung, bei der man eigentlich auf die Inhaltsangabe verzichten und sich stattdessen direkt in die Geschichte fallen lassen sollte. Denn was auf dem Papier irritierend und gekünstelt klingen kann, ist in Wirklichkeit alles andere als das. Regisseur Nathansky gelingt es, ein intimes Beziehungsdrama aufzuziehen, das einen spannenden Abstand zwischen Nähe und Distanz findet und sein Publikum so dazu verführt, das unsichere emotionale Terrain selbst zu navigieren. Dieses Vorgehen ist von großer Ernsthaftigkeit geprägt, lässt aber auch Raum für eine beiläufige Milieustudie und subtilen Humor. Das sieht man nicht oft im deutschen Film, wo ähnlichen Dramen nur allzu gerne die inszenatorischen Stützräder angeschraubt werden. »Alle die du bist« wirkt dagegen auf originelle Art wild und ungezwungen und gerade deswegen so frisch. Wenn es stimmt, dass es dieselbe Liebe nie zweimal auf der Welt gibt, liefert diese Geschichte einen Anlass dafür, sich einmal abseits der Grußkartenromantik umzuschauen.


Alle die du bist

  1. Mai • 1 Std. 48 Min.

Nur Paul kann Nadine verstehen, nur Nadine Paul. Wie ein Sonnensystem, das nur aus zwei Planeten besteht, kreisen die beiden um eine exklusive Liebe, die langsam zu erkalten droht. Michael Fetter Nathanskys Liebesdrama kann sich auf eine vorzüglich spielende Aenne Schwarz verlassen, wenn es darum geht, das Unausgesprochene auf die Leinwand zu bringen und für Verständnis zu werben. Leise und ungewöhnlich ehrlich ist »Alle die du bist« ein Filmerlebnis, dessen emotionale Resonanz noch lange nachhallt.

Markus Hockenbrink