Musik

29.12. | Album der Woche

Joe Jackson presents Max Champion• What A Racket!

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29.12. | Album der Woche - Joe Jackson presents Max Champion• What A Racket!

Foto: earMusic/Edel


Eine immersive Zeitreise

Der musikalische Tausendsassa Joe Jackson führt mit Songs des wiederentdeckten Musikers Max Champion in die Music Hall des 19. Jahrhunderts zurück.

Wie das Werk des 1882 in Whitechapel im Londoner East End geborenen und 1913 spurlos verschwundenen Musikers Max Champion wiedergefunden wurde, das wäre Stoff für einen Hollywoodfilm. Einen kulturhistorischen sechsten Teil von »Indiana Jones«, in dem Helena Shaw im tanzenden Staub eines Dachbodens Notenblätter aus einer Truhe fischt oder, die alte Tür knarren lassend, aus einem antiken Kleiderschrank. So geschehen mit einigen Songs dieser Sammlung, die in Margate an der Küstenlinie der Isle of Thanet sowie im alteingesessenen Kiez von Bethnal Green Ende der 2010er auftauchten. Auch die Insel Malta oder ein altes Bauernhaus in Belgien waren dabei. Was für eine Romantik, das Werk eines dermaßen außergewöhnlichen Künstlers in der Welt verstreut zu sehen und erneut zu sammeln. Was für eine Leistung von Joe Jackson, es als Album wieder oder besser erstmals einzuspielen. Man stelle sich das vor, wie ein 1913 verschwundener Künstler exakt 110 Jahre später aus dem Jenseits beobachtet, wie sein Album namens »What A Racket« erscheint, in herausragender Qualität eingespielt und publiziert als CD, schweres Vinyl, Download und Stream. Zu entdecken und zu genießen für alle, dermaßen satt, warm, tief und räumlich aufgenommen, dass es einen PKW ebenso erfüllend beschallen kann wie eine siebenstellige High-End-Anlage mit Plattenspieler von DeBaer und Lautsprechern von Kondo. Worin taucht das Publikum ab, wenn es diese elf Songs genießt, zwischen Revue und Romantik, Schaustellerei und Chanson? Es ist das musikalische Genre der Music Hall, benannt nach den Locations, in denen diese britische Version des Vaudeville aufgeführt wurde. Das Spektakel besuchten damals Menschen aller sozialen Schichten, vom Hafenarbeiter bis zum Gelehrten, von der Prostituierten bis zum Adeligen. Die Musiker teilten sich die Bühne mit Magiern und Akrobaten, zauberten aber auch selber mit Melodien und Worten ein Kopfkino in die Luft, erzählten in jedem Song komplette Geschichten zwischen Pathos und Satire, Emotion und Spott. Das Phänomen verschwand mit dem Ersten Weltkrieg, in dem wohl auch Max Champion fiel, doch seine musikalischen Spuren lassen sich in der Tat bis heute vernehmen. Was Sting und Edin Karamazov mit »Songs From The Labyrinth« einst für das musikalische Erbe des elisabethanischen Komponisten und Lautenspielers John Dowland leisteten, schenkt Joe Jackson mit »What A Racket« der Welt in Bezug auf Max Champion.


Joe Jackson Presents Max Champion
What A Racket!

earMusic/Edel, ab 24.11.

Joe Jackson

Wer in das unglaublich immer­sive Erlebnis dieser Music Hall abtaucht und dabei an die ver­gangenen Jahrzehnte der Musik­geschichte denkt, entdeckt die musikalische DNA dieser Zeit tatsächlich darin wieder. Im Pubrock der Pogues oder Folkpunk der Dropkick Murphys ebenso wie in der großen Geste einer Stadionballade von Robbie Williams oder der subtileren eines dunklen Storytellings von Nick Cave. Antik und zugleich zeitlos, ist man im Gestern und im fortschreitenden Heute zu­ gleich. Faszinierend.

Oliver Uschmann