Kino

24.08. | Kinostart der Woche

The Inspection

24.08. | Kinostart der Woche - The Inspection

Foto: Erik Umphery


Aus dem Obdachlosenheim zum Marinekorps

Von seiner homophoben Mutter wurde er rausgeschmissen und landete auf der Straße, also suchte Elegance Bratton sein Heil irgendwann mit dem Mut der Verzweiflung beim Militär, bevor er später Regisseur wurde. Die Monate im Marine-Bootcamp hat er nun in seinem eindrucksvollen Debütfilm »The Inspection« verarbeitet

Mr. Bratton, war Ihnen immer klar, dass Sie Ihre eigene Geschichte eines Tages in einen Film verwandeln würden?

Als ich es nach meiner Zeit bei den Marines doch noch aufs College schaffte, dachte ich zunächst darüber nach, ein Buch zu schreiben. Aber dann realisierte ich, dass meine deutlich jüngeren Kommiliton:innen durch Social-Media einer enorm visuellen Generation angehörten. Um die zu erreichen, erschien mir ein Film die bessere Option.

Hatten Sie keine Angst, dass die Auseinandersetzung mit einigen Ihrer Erfahrungen Sie re-traumatisieren könnte?

Doch, und tatsächlich gab es in den drei Jahren, die ich an dem Drehbuch arbeitete, auch Momente, die mich ziemlich heruntergezogen haben. Aber ich habe das nicht ausschließlich als Re-Traumatisierung erlebt, sondern als hilfreichen Indikator dafür, was womöglich noch nicht verheilt war. Ehrlich gesagt fand ich die erneute Auseinandersetzung mit meiner Biografie sogar sehr wichtig. Und ich habe mir Mühe gegeben, dass meine Erfahrungen auch auf andere Menschen nun im Kino nicht traumatisierend wirken. Deswegen liegt der Fokus des Films darauf, dass alles, was ich mit meiner Mutter und dann im Bootcamp erlebt habe, mich zu dem gemacht haben, der ich heute bin.

War die Arbeit mit Gabrielle Union, die nun Ihre Mutter verkörpert, letztlich also sogar heilsam?

Unbedingt. Im Februar 2020 bekamen wir grünes Licht für »The Inspection« und zwei Tage später wurde meine Mutter von meiner Halbschwester umgebracht. Das traf mich auch deshalb schwer, weil meine Motivation als Filmemacher immer auch war, etwas zu schaffen, dass ihr die Tür öffnet, zurück in mein Leben zu treten. Und das war einer der Gründe, warum ich Gabby in dieser Rolle besetzte. Meine Mutter und ich hatten vor ihrem Tod sehr lange nicht gesprochen, aber Gabby war ihre Lieblingsschauspielerin. Ich dachte immer, dass sie mitbekommen würde, wenn sie von ihr verkörpert wird, und sich daraus vielleicht wieder ein Dialog ergeben würde. Dazu kam es dann leider nicht. Aber ich bin Gabby sehr dankbar, dass sie meine Mutter noch einmal zum Leben erweckt hat und mir in gewisser Weise die Möglichkeit gab, meinen Frieden mit ihr zu machen.

Und was machte Jeremy Pope zum idealen Darsteller Ihres Alter Egos?

Vor allem ist er einfach ein unglaublich talentierter Schauspieler. Es ist noch nicht lange her, dass Filmemacher Vorbehalte gegen Musical-Darstellern vom Broadway hatten. Aber ich fand immer schon, dass die Leute echt etwas draufhaben, die es schaffen, zweimal pro Tag diese komplex durchchoreografierten Stücke auf die Bühne zu bringen. Und nicht umsonst war er zweifach für den Tony nominiert. Ich habe ihm von Beginn an gesagt, dass er nicht mich spielen soll, sondern die Figur Ellis French, die ich geschaffen habe. Die basiert auf meinen Erfahrungen, aber hat bewusst Leerstellen, die Jeremy füllen sollte. Was er weit über meine Erwartungen hinaus getan hat. Abgesehen davon, dass er mir eine echte Stütze war in der komplizierten Trauer um meine Mutter, die mich beim Dreh immer wieder überkam. Dank ihm war ich in diesem Prozess nie allein.

Ihre Biografie als queerer Schwarzer Mann ist ziemlich einzigartig. Die wenigsten im Publikum werden Ihre Erfahrungen teilen…

Das ist auch gar nicht nötig. Ich habe diesen Film gedreht für alle, die sich jemals missachtet fühlten oder denen gesagt wurde, sie seien nicht genug. Das erleben in irgendeiner Form die meisten irgendwann in ihrem Leben mal, wenn auch vielleicht in einer weniger extremen Form. Ich hoffe, dass »The Inspection« eine Art Inspiration und Anleitung sein kann, wie man sich selbst lieben lernt, wenn die Welt einem sagt, man sei nicht gut genug.


The Inspection

  1. August, 1 Std. 35 Min.

Weil seine Mutter nicht akzeptieren kann, dass er schwul ist, hat der junge Ellis French kein Zuhause mehr und sucht sein Heil beim Militär. Doch schon im mehrwöchigen Bootcamp zeigt sich, dass auch dort Homophobie allgegenwärtig ist, von einem sadistischen System der Unterdrückung ganz zu schweigen. Aus der eigenen, tragischen Biografie strickt Elegance Bratton ein Spielfilmdebüt, dem erstaunlich viel Hoffnung innewohnt. Dabei gelingt ihm ein ungeschliffener, aber bemerkenswert starker und berührender Film frei von Kitsch und Klischees, in dem er nicht nur mit starken Schauspieler:innen (allen voran Jeremy Pope, überzeugend wie nie) und eindrucksvollen Bildern aufwartet, sondern auch Raum für viele, auch vermeintlich widersprüchliche emotionale Facetten lässt.

Patrick Heidmann