Musik

22.12. | Album der Woche

Bruce Liu • Waves

Deutsche Grammophon

22.12. | Album der Woche - Bruce Liu • Waves

Foto: Christoph Köstlin


Unendlich kreativ

2021 gewann Bruce Liu den Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb. Jetzt erscheint sein erstes Studioalbum »Waves« – (fast) ohne Chopin.

Mr. Liu, wo erreichen wir Sie gerade?
Ich bin gerade in Peking angekommen und im Taxi auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel. Zum ersten Mal seit der Pandemie spiele ich wieder hier. Früher war ich jeden Sommer in Peking, um meine Großeltern zu besuchen.

Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie 2021 den renommierten Chopin-Klavierwettbewerb gewonnen haben? Es ist tatsächlich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Vor dem Wettbewerb spielte ich Klavier wie ein Student – ich hatte viel Freizeit, um zu üben und mein Leben zu genießen, ich habe oft gekocht und Spaziergänge gemacht. Heute ist die größte Herausforderung für mich, Zeit für meine Hobbies zu finden. Da fehlt noch die Balance. Was mich aber sehr freut: Ich muss keine Wettbewerbe mehr spielen!

Auf Ihrem ersten Studioalbum »Waves« spielen Sie Werke von Rameau, Alkan und Ravel – warum nicht Chopin?
Ich wollte ein Album rausbringen, das meine eigene Herkunft widerspiegelt. Ich bin in Paris geboren, Rameau, Alkan und Ravel sind dort gestorben. Ich fühle mich ihrer Musik sehr nah – wie auch Chopins Musik, der ja auch die zweite Hälfte seines Lebens in Paris gelebt hat und ebenfalls dort gestorben ist. Er ist also quasi nicht weit entfernt von meinem Album.

Die Musik von Rameau, Alkan und Ravel umfasst 200 Jahre Musikgeschichte. Warum haben Sie die Stücke für Ihr Album gewählt?
Besonders bei Rameau und Alkan ging es mir darum, verborgene Schätze auszugraben. Alle reden bei französischen Komponisten über Debussy. Bei Barockmusik dreht sich alles um Bach und Scarlatti. Ich sage: Barockmusik, das sind Rameau und Couperin. Rameau war der Großvater der Harmonie! Und Ravel ... der Impressionismus liegt mir sehr am Herzen. Mein Vater war Maler und ich wuchs mit seinen Gemälden auf. Das hat meine Herangehensweise an die Musik geprägt – und ist auch der Esprit meines Albums: Es geht um Spontanität.

Warum haben Sie das Album »Waves« genannt? Wellen sind immer unterschiedlich – wie das Spielen eines Stücks auch. Es ist ein unendlich kreativer und spontaner Prozess. Dazu kommt, dass die Stücke auf dem Album geradezu fließen – sie klingen wie Wasser.

Was inspiriert Sie?
Wenn ich neue Menschen kennenlerne oder meinen Hobbies nachgehe – ich liebe es, zu schwimmen, zu lesen oder Schach zu spielen. Das inspiriert mich. Und deshalb muss ich dringend wieder mehr Zeit dafür finden!


Bruce Liu
Waves

Deutsche Grammophon, 03.11.

Bruce Liu

Der kanadische Pianist mit chinesischer Herkunft erkundet auf seinem ersten Studioalbum die farbenfrohen Klangwelten dreier höchst unterschiedlicher Komponisten: Von Jean­ Philippe Rameau (1683-­1764) spielt er Auszüge aus den »Pièces de clavessin«und den »Nouvelles suites de pièces de clavecin«. Das überschwängliche »Le festin d'Ésope« wie auch die ruhige Barcarolle von Charles ­Valentin Alkan (1813-­1888) begeisterten Liu bereits als Student – und er war fest davon überzeugt, sie bekannt zu machen. Aus dem 20. Jahrhundert schließlich wählte Liu »Miroirs« von Maurice Ravel (1875-­1937). Entstanden ist ein ebenso kontrastreiches wie charmantes Album. Chapeau!

Lydia Evers