Musik

22.03. | Album der Woche

The Staves • All Now

Communion · 22. März

22.03. | Album der Woche - The Staves •  All Now

Foto: Communion


Aggressive Freiheit

Hinter Camilla und Jessica Stavely-Taylor stapeln sich die Gitarrenkoffer. Sie haben gerade eine US-Tour beendet, ihre erste als Duo, weil sich die dritte der Schwestern aus der Band zurückzog.

Das vierte The Staves Album erscheint nach einer Phase des Chaos und der Stille. Woher kommen diese Zuschreibungen?
Camilla Staveley-Taylor: Wir waren bereits vor der Pandemie in einer Art chaotischem, selbstauferlegtem Lockdown. Wir hatten unsere Mutter verloren und uns zwischen dem zweiten und dritten Album viel Zeit gelassen. Wir wechselten zu einem Majorlabel, wechselten das Management und Emily [die älteste der drei Schwestern] nahm sich zunehmend zurück, da sie inzwischen selbst Mutter geworden war. Als „Good Woman“ 2021 erschien, zwang die Pandemie die Welt in einen wahrhaftigen Lockdown, eine Zeit völliger Stille.

In welcher Phase befinden sich The Staves jetzt?
Jessica Stavely-Taylor: Es ist die Phase ohne Emily. Sie ist zwar auf ein paar Songs zu hören, „All Now“ markiert aber das erste Album, an dem wir von Beginn an nur zu zweit gearbeitet haben. Das machte einen großen Unterschied für uns. Nicht nur weil sie stets Teil von The Staves war, sie war schon immer ein enorm wichtiger Teil unseres Lebens. Es erlaubte uns aber auch neue Ansätze zu verfolgen. Der Titelsong etwa war einer der ersten der erstand. Als Milli [Camilla] ihn mir schickte, war ich unmittelbar begeistert. Er klang frisch, neu und leicht aggressiv. Es fühlte sich fast so an, als würde sie rappen. Das war ein wunderbarer Ausgangspunkt für das Album.

In diesem Song gibt es die Schlüsselzeile „Be aggressively free“. Was hat es damit auf sich?

Jessica: Der Song beschreibt die zwanghafte Idee, das bestmögliche Leben zu führen. Die sozialen Medien suggerieren uns, dass immer alles großartig, aufregend und perfekt zu sein hat. Wie vermeintlich frei sich die Leute inszenieren, das baut eine unerreichbare Erwartungshaltung auf.
Camilla: Das kommt fast einer Verurteilung gleich, gegenüber allen, die das weder wollen noch können.

Was sind die Konsequenzen daraus?
Jessica: Die Realität in den sozialen Media führt zwangsläufig zu pausenlosen Vergleichen. Gefährlich wird es, wenn dadurch die Wertigkeit des eigenen Lebens hinterfragt wird. ‚Warum läuft es bei mir so schlecht, wenn alle anderen eine viel bessere Zeit haben?‘. Wenn irgendwo Herausforderungen oder gar Schwächen erlaubt sind, dann nur wenn man als fähiger Aktivist bereits erfolgreich dagegen anarbeitet. Niemand fragt, ob es auch in Ordnung ist, einfach normal und durchschnittlich zu sein.


The Staves

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Man könnte annehmen, die einst von Bon Iver hofierten The Staves wären noch puristischer geworden, nachdem sich Emily Staveley-Taylor als eine von drei Schwestern aus der Band zurückgezogen hatte, um sich ganz auf das Mutter sein zu fokussieren. Doch das Gegenteil ist der Fall. Jessica und Camilla entscheiden sich als Duo immer öfter für die Tempoverschärfung und unterfüttern ihre Folksongs mit rockigem Popappeal im besten Sinne. Im Social-Media-kritischen Titelsong erstreckt sich die Neuausrichtung gar fast in den HipHop hinein.

Daniel Thomas