Pierluigi Collina
„Lob sollte man schneller abhaken als Fehler.“
Zur Person
Der am 13.06.1960 in Bologna geborene Pierluigi Collina ist ein früherer Fußballschiedsrichter. Zuvor hatte er die Universität in seiner Heimatstadt besucht, wo er 1984 seinen Abschluss im Bereich Wirtschaft erworben hat. Im Alter von 24 Jahren wurde bei Collina die Krankheit Alopecia universalis diagnostiziert, bei der die Betroffenen unter einem Haarausfall am ganzen Körper leiden. Da er zwischen den Jahren 1998 und 2003 sechs Mal in Folge zum „Weltschiedsrichter des Jahres“ gekürt wurde, hält er damit bis heute einen Rekord. Seine Erfahrungen hat er in einem Buch dokumentiert, das weltweit in insgesamt neun Sprachen erschienen ist. Bis heute gilt der mitlerweile inaktive Collina den Statistiken zufolge als weltbester Schiedsrichter.
01.10.2002. Einer der bekanntesten, sicher aber markantesten Fußball-Schiedsrichter der Welt holt einmal ganz weit aus. In dem ausführlichen Gespräch wird der sonst eher zurückhaltende Mensch persönlich, eindringlich und sehr offen. Er spricht in diesem zweistündigen Interview über Technisches und Fachliches, über Training und den richtigen Blick – aber auch über Schiedsrichter-Groupies. Ja: Die gibt es, gerade in Italien. Der Referee empfängt uns in seiner Heimat, einem kleinen Seebad im Nordwesten Italiens.
Lassen Sie uns mit der unangenehmsten Frage beginnen, Herr Collina: Sie sind bei der Verleihung des italienischen ‚Sport-Oscars’ auf geschmacklose Weise von einem Komiker verunglimpft worden, der in mehreren Witzen eine ‚Collina-Haarlotion’ thematisierte. Sie haben sich dann zu Recht darüber echauffiert, dass jemand Späße über ihre Glatze macht – aber hat sich dieser Kerl vom Fernsehen inzwischen bei Ihnen entschuldigt?
Pierluigi Collina: Ich glaube, ich habe normal reagiert für einen Menschen, der mit diesem Problem lebt. Meine Glatze ist ja kein Modegag, ich habe meine Haare als 24jähriger als Folge einer Stoffwechselkrankheit innerhalb von 15 Tagen verloren. Wenn das Kindern passiert, müssen sie noch viel schlimmer als ich unter dem Spott unverständiger Kameraden leiden. Aber ich möchte zu diesem Vorfall eigentlich nichts mehr sagen. Ich habe bei dieser Ehrung ja auch nicht auf der Bühne reagiert, sondern erst hinterher. Als ich diesem Mann meine Meinung sagte, merkte ich nicht, dass wir beobachtet wurden – nur so kam die Sache ans Licht und in die Medien. Meine einzige Anmerkung zu diesem Thema: In all solchen Lebensfragen ist Respekt das Schlüsselwort für den Umgang der Menschen miteinander.
Haben Sie eigentlich Kritiker oder Feinde?
Kritik ist normal. Und nicht nur im Fußball, auch im Alltag gibt es verschiedene Meinungen. Deshalb macht es mir nichts aus, wenn ich in den Zeitungen kritisiert werde, das ist Teil meines Lebens als Schiedsrichter. Im übrigen hilft mir Kritik von außen auch oft. Es gibt immer wieder Zeiten, da kannst du selbst nicht sehen, wie du dich verbessern könntest. Da sind die Kritiker sehr nützlich. Ich hoffe aber, dass ich keine richtigen Feinde habe. Denn wie ich schon gesagt habe: Für mich ist gegenseitiger Respekt die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens.