Johann Scheerer
„Die Entführung hat die Grundfesten meines Lebens erschüttert.“
Zur Person
Johann Scheerer (geboren am 6.11.1982 in Henstedt-Ulzburg) ist das einzige Kind aus der Ehe der Psychoanalytikerin Ann-Kathrin Scheerer und des Germanisten und Publizisten Jan Philipp Reemtsma. Mit 15 Jahren gründete Scheerer seine erste Band und im Jahr 2003 sein erstes Tonstudio. Heute produziert er in seinem Studio „Clouds Hill Recordings“ in Hamburg unter anderem Bands und Musiker wie Pete Doherty, Rocko Schamoni, Bosnian Rainbows oder At the Drive-In, die er teilweise auch auf seinem eigenen Label veröffentlicht. Das hochwertige Equipment und die besondere Atmosphäre in seinem Studio schätzen auch Kunden wie die Beach Boys oder The Killers. Johann Scheerer hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Hamburg.
13. März 2018, Köln. Plötzlich ist der Musikproduzent Johann Scheerer Bestseller-Autor. Mit einem Buch über die Entführung seines Vaters, Jan Phillip Reemtsma. Mehr als 20 Jahre lang hat Scheerer über die 33 Tage geschwiegen, die er mit seiner Mutter im Haus verbrachte, während der Vater an einem unbekannten Ort in einem Keller festgekettet war. Keiner fragte ihn danach. Und auch er selbst wollte die Geschichte einfach loswerden. Doch das klappte nicht. Daher das Buch. Am Abend las er im Rahmen der lit.cologne, jetzt wartet Johann Scheerer schon im Hotel: Er ist eine halbe Stunde zu früh und voller Tatendrang.
Herr Scheerer, seit Wochen sprechen Sie über ein Thema, über das Sie zuvor nie gesprochen haben: Die Entführung Ihres Vaters Jan Phillip Reemtsma, der nach 33 Tagen und gegen ein Lösegeld von 30 Millionen D-Mark wieder freigelassen wurde. Sehen Sie diese Zeit nun mit anderen Augen?
Ich habe das Buch nicht geschrieben, um selbst einen anderen Blick auf diese Ereignisse zu bekommen. Ich wollte die Sicht der Menschen, mit denen ich zu tun habe, verändern. Ich möchte endlich eine Situation herstellen, in der diese Entführung ebenso besprechbar ist wie alles andere, was man halt so bespricht. Es soll einfach vorkommen dürfen, dass man mit mir darüber redet. Ohne Berührungsängste.
Und die gab es?
Ja. Mich hat wirklich mit ganz wenigen Ausnahmen niemand je auf diese Geschichte angesprochen. Alle wussten davon, keiner sprach mit mir darüber. Das ändert sich jetzt durch das Buch. Indem ich die Geschichte von diesem Verbrechen teile, gebe ich den Menschen die Gelegenheit, subjektive Anknüpfungspunkte zu finden. Das entmystifiziert diese Sache. Und während ich zum ersten Mal intensiv und in der Öffentlichkeit darüber spreche, merke ich, dass das Gleiche bei mir passiert: Auch mir fällt es leichter, darüber zu sprechen. Wenn man es platt sagen würde, dann hat das Buch einen therapeutischen Aspekt. Und es passiert tatsächlich das, was ich mir erhofft habe: Ich bekomme eine ganz angenehme Distanz zu der Geschichte. Wobei, stimmt nicht, beim Vorlesen des Buches gehen mir manche Passagen weiterhin wahnsinnig an die Nieren. Aber genau das will ich. Ich will da rein und den kathartischen Prozess durchleben.