Nachruf

Zum Tod von Walter Scheel

Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1989-047-20 / CC-BY-SA 3.0

Nun ist sein rollender Wagen doch zum Halt gekommen. Dort, hoch oben, wo Walter Scheel stets auf dem gelben Exemplar desselben saß. Mit 97 Jahren.

Doch Scheel war weit mehr als nur der Beifahrer des Schwagers, wie es in dem Liedtext zu "Hoch auf dem gelben Wagen" heißt. Jenem Lied, mit dem er sich 1974 kurz vor seiner Wahl zum fünften Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland in die Herzen der Menschen sang. Damals zur Primetime bei Wim Thoelke, als er für einen wohltätigen Zweck mit dem Düsseldorfer Männerchor sang und es damit sogar bis auf den fünften Platz der Hitparade schaffte - als Bundesaußenminister wohlgemerkt. Scheel war Lenker und Motor zugleich eben jenes gelben Wagens, dem Synonym für die FDP, die er mit seiner heiteren Härte auf lange Zeit prägte und eine Identität verlieh. Denn Scheel verstand es stets, die Geschicke der Partei wie ein Unternehmer zu leiten und vollzog mit seinen Freiburger Thesen den politischen Wandel der freien Demokraten vom Wirtschaftsliberalismus hin zum gesellschaftspolitischen Reformliberalismus. So war Scheel in der sozialliberalen Regierung von 1969 bis 1974 gemeinsam mit Willy Brandt auf der Höhe des Kalten Krieges maßgeblich daran beteiligt, mit der neuen Ostpolitik eine Annäherung an den kommunistisch geführten Ostblock zu erzielen. Mit dem Moskauer Vertrag schuf er mit dem darin enthaltenden "Brief zur Deutschen Einheit" einen wichtigen ersten Beiträg zur Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands. Als Scheel dann 1974 mit 55 Jahren als damals jüngstes Staatsoberhaupt mit seiner zweiten Ehefrau und drei kleinen Kindern in die Bonner Villa Hammerschmidt einzog, waren sie die Obamas ihrer Zeit. Schnell wurde der Amtssitz in "Villa Kunterbunt" umgetauft und Scheel, der heitere Schelm, machte sich gerne einen Spaß daraus, das Protokoll zu umgehen und unter dem Radar der Sicherheitsbeamten mit seinen Kindern ins benachbarte Museum König auszubüchsen. Doch so heiter sich Scheel als Bonvivant gerne gab, der den Champanger stets dem Sekt vorzug und sich mit Künstlern wie Andy Warhol und Joseph Beuys umgab, durchzogen viele Tragödien sein Leben. Im Zweiten Weltkrieg an Fleckfieber erkrankt und bereits dem Tode geweiht, litt er sein ganzes Politikerleben lang an Nieren- und Herzbeschwerden. Seine beiden ersten Ehefrauen starben an Krebs. Besonders tragisch, da seine zweite Gattin, die Ärztin Mildred Scheel, Gründerin der Deutschen Krebshilfe war. Als sich seine Tochter Cornelia Scheel, die nach dem Tod der Mutter die Stiftung fortführte, auf dem Bundespresseball 1991 gemeinsam mit Hella von Sinnen als Lesbe outete, riss das Band zum Vater. Wegen seiner späteren Demenzerkrankung, lebte Scheel seit 2012 in einem Pflegeheim, wo er am gestrigen Tag verstarb. Mit Scheel, der zur Gründergeneration der FDP gehörte und vom Historiker Arnulf Baring einst "Mr. Bundesrepublik" getauft wurde, tritt allmählich eine Generation von Politikern ab, die ihren Beruf noch als Berufung statt als Karrieresprungbrett verstand.

Björn Eenboom