75. Frankfurter Buchmesse

Pressesprecher Torsten Casimir im Interview

Pressesprecher Torsten Casimir im Interview

Foto: Katrin Friedl


Dr. Torsten Casimir, Sprecher der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, spricht im Interview über die 75. Ausgabe der weltweit größten Buchmesse, die Folgen der Pandemie, das Gastland Slowenien und seine persönlichen Programmhighlights.

Im letzten Jahr konnte die Buchmesse erstmalig wieder ohne größere Corona-Einschränkungen ablaufen, in diesem Jahr werden auch die letzten Maßnahmen fallen – wie fühlt sich dieser Schritt für Sie an?

Wie eine Befreiung. Wir alle atmen auf. Die Corona-Jahre waren in jeder Hinsicht anspruchsvoll für die Frankfurter Buchmesse: wirtschaftlich für das Unternehmen, aber auch mental für jede Kollegin und jeden Kollegen. Jetzt ist die Freude umso größer, zu sehen, dass sie alle wiederkommen, aus den USA, aus Asien, und aus Europa sowieso. Das hatte sich im vergangenen Jahr bereits abgezeichnet, und in diesem Oktober werden die Buchmessehallen noch einmal deutlich voller sein. Rückblickend erweist sich der erzwungene Verzicht in den Corona-Jahren als eine Art Proof of Concept: Das Geschäftsmodell „Buchmesse“ geht gestärkt aus der Krise hervor. Die persönlichen Begegnungen sind nicht ersetzbar, nur durch sie entsteht Vertrauen und damit die Basis für ein erfolgreiches internationales Buchgeschäft.

Was hat sich durch die Pandemie trotzdem langfristig geändert?

Wir haben gelernt, dass digitale und hybride Formate wertvolle Ergänzungen zu den Angeboten während der Messewoche sind. Das gilt beispielsweise für Networking-Events im Vorfeld der Messe. Zwei Beispiele: The Hof ist eine unserer erfolgreichsten digitalen Eventreihen mit einer internationalen, digitalen Community, die wir vor drei Jahren gestartet haben. Dort treffen sich in monatlichen Sessions über das Frühjahr und den Sommer hinweg Publishing-Professionals, Literaturbegeisterte, Autorinnen und Autoren in ungezwungener Atmosphäre zum Austausch. Der Name The Hof verweist auf die legendäre Autor*innenbar im Steigenberger Frankfurter Hof. Klingt verrückt, aber da scheint mir so etwas wie ein Orts- und Aura-Transfer im Spiel. Ich bin persönlich überrascht, dass so etwas digital klappt, aber freue mich über die Verbindungen, die dort entstehen und dann in Frankfurt vor Ort gefestigt werden. Das Frankfurt Rights Meeting – zweites Beispiel – ist seit über 30 Jahren der Treffpunkt für alle Entscheider und Entscheiderinnen im Rechte- und Lizenzhandel der Buchbranche. Dieses Jahr bieten wir ein hybrides Format in vier digitalen Sessions im September an, gefolgt von einem Networking-Event mit Keynote auf dem Messegelände unmittelbar vor Messebeginn. Solche digitalen Zusatzangebote helfen uns langfristig dabei, das Erlebnis Buchmesse zeitlich aus seinem engen Rahmen der wenigen Oktobertage in Frankfurt zu befreien.

Unter dem Motto „Waben der Worte“ ist Slowenien in diesem Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Können Sie das Motto des Gastlandes noch einmal näher erläutern?

Slowenien liegt an einem einzigartigen Schnittpunkt von vier europäischen Sprachgruppen. Im Laufe der Zeit hat sich im Land, getrieben durch die Literatur und die ihr eigene Neugier und Offenheit, eine vielschichtige Kultur und Sprache entwickelt. Diese Diversität der Sprache, auch der Tonalität und Erzählweisen spiegelt die ganze europäische Vielfalt wider. Das ist einzigartig und originell. Hinzu kommt etwas, worauf die Schriftstellerin und Kärntner Slowenin Maja Haderlap kürzlich in Ljubljana aufmerksam gemacht hat: In dem kleinen slowenischen Sprachraum, so sagte sie anlässlich der Präsentation einer Anthologie slowenischer Lyrik, herrsche „ein dichtes, poetisches Gedränge. Überall tummeln sich Schreibende.“ – All das mag das Ehrengast-Team zu diesem schönen Bild von den „Waben der Worte“ angeregt haben. Ich finde es sehr passend.

Was wird den Auftritt Sloweniens auszeichnen? Was prägt die slowenische Literaturszene?

Literarisch wird die Lyrik im Mittelpunkt des Ehrengast-Auftritts stehen. Einen zweiten Schwerpunkt bildet – natürlich! – die Philosophie. Zum Beispiel werden während der Buchmesse an der Goethe-Universität Theoretikerinnen der Frankfurter Schule der Kritischen Theorie und der Ljubljana-Schule der Psychoanalyse und Philosophie aufeinandertreffen, um verschiedene Ansätze der Ideologiekritik in einer Welt, die von Unordnung geprägt ist, zu diskutieren. Fast unnötig zu erwähnen, dass der slowenische Star-Philosoph Slavoj Žižek mit von der Partie sein wird. Im Ehrengast-Pavillon auf der Messe kommt es zu einem Stelldichein von mehr als 70 literarischen Gästen, darunter sowohl große Namen wie auch spannende Neuentdeckungen. Ein kultureller Höhepunkt im Ehrengast-Programm wird sicherlich das Konzert von Sloweniens berühmtester Band „Laibach“, die gemeinsam mit iranischen Interpretinnen und dem RTV Slovenia Symphony Orchestra „Alamut – Historische Sinfonie” aufführen. Das interkulturelle Werk basiert auf einem 1938 erschienenen Roman Vladimir Bartols.

Die Frankfurter Buchmesse wird in diesem Jahr 75. Welche besonderen Programmpunkte darf man zur Jubiläumsausgabe erwarten?

Über die Highlights der slowenischen Ehrengäste hinaus möchte ich das neu eingerichtete Comics Centre in Halle 6 erwähnen. Im Publishing Perspectives Forum wird es internationale Konferenzen geben zu den Themenfeldern Children’s Publishing und Audio. Auf einer ebenfalls neuen International Stage zwischen Halle 5 und 6 bieten wir ein umfangreiches Fachprogramm, aber auch der Auftritt zahlreicher internationaler Autorinnen und Autoren wird dort mitzuerleben sein. Der Messe-Freitag hat den Fokus „Book to Screen“, ein für die weltweite Buchbranche immer bedeutsamer werdender Bereich. Es wird dazu eine Reihe von Panel-Diskussionen, Matchmaking-Events und Angeboten zum Netzwerken zwischen Publishing- und Filmbranche geben. Bekannte Stimmen aus der Hörbuchwelt sind am Wochenende im Audio-Areal in Halle 3.1 vertreten. Stars der Literaturszene haben sich angesagt für Lesungen, Buchpräsentationen und – das machen wir zum ersten Mal in einem eigens dafür eingerichteten, großflächigen Areal – Signierstunden. Die Begegnung zwischen Lesenden und Schreibenden gehört mittlerweile zu den zentralen Erlebnisangeboten der Frankfurter Buchmesse. Das war in den Gründerjahren nach 1949 noch nicht in dem Maß der Fall.

Warum sollte man die Messe in diesem Jahr besuchen?
Weil das ein Erlebnis ist, das es nur einmal im Jahr und nur in Frankfurt gibt. Die Buchmesse ist die weltweit größte Messe im Verlagswesen und das Highlight für Kulturfans. Hier treffen Leserinnen und Leser ihre Lieblingsautorinnen und -autoren, bekannte Namen aus Politik und Kultur diskutieren auf den zahlreichen Bühnen und in den internationalen Hallen sind Verlage aus aller Welt vertreten. Außerdem gibt es jedes Jahr etwas Neues zu entdecken – nicht nur bei der jährlich wechselnden Ehrengast-Präsentation. Alle, die Stories erfinden oder mit Stories handeln, kommen hierher: die Autorinnen und Autoren, die Verlagsleute der verschiedenen Gewerke, Übersetzerinnen und Übersetzer, Agentinnen und Agenten. Mit anderen Worten: Weil man die Frankfurter Buchmesse in jedem Jahr besuchen sollte.

Welche besonderen Programmpunkte möchten Sie Interessierten persönlich empfehlen? Worauf freuen Sie sich selbst am meisten?

Persönlich freue ich mich sehr auf das Fachprogramm der Slowenen, das sich interdisziplinär mit dem Thema „Higher Level Reading“ befasst. Da kommen hochkarätige Leute mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund zusammen, aus der Leseforschung, der Buchwissenschaft, aber auch aus den Neurowissenschaften und der Philosophie. In Zeiten, in denen einerseits der Screen für die meisten Menschen zur dominierenden Leseoberfläche geworden ist, und in der andererseits immer mächtigere generative künstliche Intelligenzen Textproduktion übernehmen, ist dieser Programmschwerpunkt ein lohnendes Unterfangen. Es soll danach gefragt werden, ob sich für die meist hohe Investition von Zeit in die vertiefte Lektüre von Büchern nach wie vor Gewinne reklamieren lassen für die Entwicklung unseres analytischen und kritischen Denkens, aber auch für unsere soziale Kompetenz und für unsere demokratische Teilhabe. Macht das „Betriebssystem Buch“ auch heute noch den kleinen Unterschied?

Welche Themen beschäftigen die Branche in diesem Jahr und wie werden diese auf der Messe aufgegriffen?

Natürlich ist die eben erwähnte, geradezu sprunghafte Entwicklung von KI ein Thema, das die Verlage weltweit beschäftigt. Wie wird sich die Produktion von Texten und Bildern verändern? Was wird aus den Urheberrechten? Wer zieht die Fäden, wenn es um die anstehende Frage der Regulierung von KI geht? Spannend für die Publishing-Branche bleibt auch die Aufgabe, junge Leserinnen und Leser für gute Geschichten zu interessieren. Ich finde es faszinierend zu sehen, dass sich neue Formen des Austauschs über Leseerfahrungen entwickeln, Stichwort BookTok, eine auch wirtschaftlich bedeutsame Community mit vielen Kooperationschancen und Anknüpfungspunkten für die traditionellen Strukturen, sowohl verlags- als auch buchhandelsseitig.

Was macht Ihnen mit Blick auf die Branche Sorgen? Inwiefern lassen sich Branchen-Probleme an der Messeteilnahme und -organisation ablesen?

Natürlich sind Buchverlage weltweit durch wirtschaftlich herausfordernde Jahre gegangen. Nicht alle haben das gleich gut hinbekommen. In solchen Zeiten agiert man besonders vorsichtig und kostenbewusst. Da werden vielleicht auch bisher selbstverständliche Reisen und Messeauftritte noch einmal hinterfragt. Umso schöner ist es zu erleben, dass die verkaufte Fläche und die Zahl der ausstellenden Verlage in Frankfurt gegenüber dem Vorjahr noch einmal deutlich wachsen.

Was tut die Messe konkret für die Presse- und Meinungsfreiheit?

Die Frankfurter Buchmesse versteht sich von Anbeginn bis zur nun 75. Ausgabe als Ort der Vielfalt und Diversität. Die Buchmesse ist eine Demokratiemesse. Gemeinsam mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels setzen wir uns seit jeher für das freie Wort ein. Das war nie anders. In diesem Jahr wird die Anwesenheit von Salman Rushdie, der in Frankfurt am Abschlusstag der Messe den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, dem Thema natürlich ein besonderes Gewicht und höchste internationale Sichtbarkeit geben. Auch in den Programmen, die wir selbst kuratieren, nimmt Presse- und Meinungsfreiheit einen breiten Raum ein. Auf unserer kulturpolitischen Hauptbühne im Herzen der Messe, dem Frankfurt Pavilion, haben wir eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema „Democracy & Human Rights“ organisiert, dort spielt die Presse- und Meinungsfreiheit eine zentrale Rolle. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine engagieren wir uns weiterhin für die ukrainischen Buchverlage, für Autorinnen und Autoren, die in Frankfurt die Chance haben, auf ihre bedrückende Lage aufmerksam zu machen. Das hat, neben der Stärkung der ukrainischen Buchwirtschaft, auch eine ganz wichtige menschliche Seite: Die ukrainischen Kolleginnen und Kollegen spüren, dass sie nicht allein sind, dass Deutschland, Europa und die Welt an ihrer Seite stehen und empathisch handeln in diesen enorm schwierigen Zeiten.

Nicola Drilling