Babylonische Gewässer

Moka Efti Orchestra & Benno Fürmann "Der nasse Fisch – Eine musikalische Lesung"

Moka Efti Orchestra & Benno Fürmann "Der nasse Fisch – Eine musikalische Lesung"

Mit ihrer musikalischen Lesung brachten das Moka Efti Orchestra und Schauspieler Benno Fürmann am gestrigen Abend den Geist der 20er Jahre in multimedialem Charme auf die Bühne des Theater des Westens - und lieferten sich einen szenischen Tanz auf dem Vulkan.

"Zu Asche, zu Staub/ Dem Licht geraubt/ Doch noch nicht jetzt/ Wunder warten bis zuletzt" – ein Tanz über dem Abgrund des Menscheins, der sich an diesem Abend im Orchesterspiel des 14-köpfigen Ensembles niederschlägt – und dem begeisterten Publikum im Saal des einstigen Tingel-Tangel-Theaters einen Eindruck vom verruchten Charme der späten 20er vermittelt. 1931 von Friedrich Hollaender gründet, gibt es mit dem "Hollaender Mash-up" dann auch eine Hommage an den Revue-Filmkomponisten.

Zunächst beginnt der Abend allerdings mit luftigen Bläser-Arrangements und dem "Fatalist Tango". Darin heißt es: "Und wie es weitergeht/ wie die Welt sich dreht/ ist mir egal, ganz egal." Zeilen, die von Niko Weidemanns Gesang und seiner Klavierperformance federleicht dahingetragen werden, nebst dominierendem Bass. Mit einer weiteren Gesangsdarbietung und dem unverkennbaren Weidemannschem Klavier-Intro, führt die Kunstfigur "Le Pustra" – bekannt für ihre Rolle der Nachtclub-Besitzerin Edwina Morrell in Babylon Berlin – in das bereits erwähnte "Zu Asche zu Staub" ein. Der Titelsong der ersten Staffel, stilecht inszeniert im Marlene-Dietrich-Look.

Damit bringt die original Big Band aus der prämierten Eventserie mit Schauspieler Benno Fürmann als kongenialem Sparringspartner Volker Kutschers Buchvorlage "Der nasse Fisch" auf die Bühne. Dessen Kriminalroman – auf dessen Vorlage gründen die ersten beiden Staffeln der Serie – lassen sie durch den Dreiklang aus Bild, Ton und Lesung zu einem zu einer multimedialen Show der besonderen Art avancieren, verknüpfen Vergangenes und Gegenwärtiges. Begleitet wird die musikalische Lesung indessen von Ausschnitten aus Kutschers Graphic Novel, visualisiert von Arne Jysch. Diese blitzen immer wieder im Hintergrund auf und lassen den Untergang für einen kurzen Augenblick zu einem erfahrbaren Szenario werden. Benno Fürmann untermalt die Lesung seinerseits durch die Varianz seiner Stimme, mit der er jeder der Figuren eine bildhafte Kontur samt charakterlicher Ambivalenz verleiht – ob geschrien, akzentuiert, oder genuschelt. Das Licht, unter dessen Kegel er seine Worte hervorbringt: Gedämpft, die Stimmung im Saal bebend ruhig. Dabei wirkt er wie ein Solitär an seinem Holztisch, platziert zwischen Big Band und dem Gefühl, aus einer Zeit der fatalsten aller Umbrüche zu erzählen; die Zeit, in der die kurzlebige Weimarer Republik vor ihrem Ende und die demokratischen Grundfeste vor ihrer Aushöhlung standen. Fürmann geht in diesen unterschiedlichen Rollen auf, macht sie nahbar – und die musikalische Lesung gemeinsam mit dem Moka Efti Orchestra zu einem künstlerischen Konglomerat der Extraklasse.

So hat das Ensemble um die beiden Komponisten Nikko Weidemann und Mario Kamien sowie Saxophonist/Arrangeur Sebastian Borkowski von opulenten Chansons über die Leichtigkeit des Charleston, einiges im Repertoire, mit dem sich die Weimarer Republik zwischen Kontrabass und Saxophon während gut zwei Stunden intonieren lässt. Highlight des Abends: Fast jedes der Orchester-Mitglieder spielt ein Solo und verleiht der musikalischen Lesung dadurch nochmal eine persönliche Note - und dem Abend einen gebührenden Abschluss, samt Zugabe.

Lisa Elsen