72. Berlinale

Ladies‘ Special

Foto: Ali Ghandtschi

Pünktlich zur Halbzeit dieser sehr kurzen Berlinale gilt es, Trends zu deuten und die Stimmung zu spiegeln.

Letzteres zuerst: Francois Ozons geschlechterverkehrte Hommage an Rainer Werner Fassbinder, „Peter von Kant“, gilt zwar als würdige Eröffnung der Berlinale 2022, dem Premierenpublikum wird das Werk jedoch wegen der zwei digitalen Film-„Risse“ als Drama in Erinnerung bleiben. Dass die Technik nicht oder nur schleppend mitspielt, gehört leider zu den Trends dieses Festivals. Vor allem kurz nach der Öffnung um sieben Uhr morgens neigen die Server der Online-Ticket-Counter zum Absturz. Das erspart dem Blutdruck zwar den doppelten Espresso, hebt aber nicht unbedingt die Stimmung bei Publikum und Presse. In solch prekären Lagen beweist sich dann der echte Star. Auftritt Emma Thompson, die das Festival im Tross der Special Gala des Erotik- und Orgasmus- suchenden Kammerspiels „Good Luck to You, Leo Grande“ betritt. Wie ein Paradiesvogel auf Speed flattert sie in Glitzerpink am Potsdamer Platz herum, vergleicht die Schönheit ihres Filmpartners Daryl McCormack mit der eines „fucking unicorn“ und bringt mal eben die Misere in der Beziehung einer Frau zu ihrem Körper in 59 Sekunden auf den Punkt.

Vielleicht aber haben Männer ganz ähnliche Komplexe und saufen sich die einfach nur weg? Der österreichische Regisseur Uli Seidl stellt in seinem Wettbewerbsbeitrag „Rimini“ eben diese These in den Raum, indem er sich dem abgehalfterten Schlagerstar Richie Bravo (Michael Thomas) an der winterlichen Adriaküste an die Fersen heftet. Gewohnt schonungslos dokumentiert Seidl dessen angeranzten Schmäh und die lieblosen Liebesdienste, aber auch Richies dementen Vater und dessen nie gereuten Hang zum Nationalsozialismus. In Österreich startet „Rimini“ voraussichtlich Anfang April. Mit ein bisschen Glück folgt ein deutscher Verleih diesem Vorbild.

Apropos Nazis. Mit Spannung erwartet wird die Aufführung des Dokumentarfilms „Eine deutsche Partei“ am 16.02. in der Reihe „Berlinale Special“. Seit 2019 hat Regisseur Simon Brückner mit seiner Kamera die Parteiarbeiten der Alternative für Deutschland auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene begleitet und dabei auch die Grabenkämpfe zwischen den Gemäßigten und dem vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Flügel verfolgt. Fast wie ein perfekter PR-Gag wirkt es da, dass Parteichef Jörg Meuthen Ende Januar das Handtuch wirft, denn „das Herz der Partei schlägt heute sehr weit rechts und es schlägt eigentlich permanent hoch“, wie er im Tagesschau-Interview zu Protokoll gibt.

Nicht aufgegeben hat hingegen die Mutter des ehemaligen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz, wofür ihr Regisseur Andreas Dresen mit „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ nun ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Der glückliche Ausgang des absurd ungleich scheinenden Rechtsstreits einer Bremer Hausfrau gegen den amerikanischen Präsidenten um die Freilassung ihres Sohnes rechtfertigt den fröhlich-satirischen Ton des im Kern eher traurigen Dramas. Und er erklärt die Besetzung der Titelheldin mit der deutsch-türkischen TV- und Radio-Comedienne Meltem Kaptan in ihrer ersten Spielfilmrolle. Weitere werden folgen, nicht nur, wenn sie den Silbernen Bären gewinnt, wofür sie hoch gehandelt wird. Kaptan ist so etwas wie eine Trude Herr 3.0 – die Naive mit Mutterwitz und entwaffnend spitzer Zunge –, nur eben in mindestens drei Sprachen. Davon überzeugen kann sich jeder ab dem 28.03. im Kino.

Ein alter und liebgewonnener Trend zeichnet sich auch bei den 72. Internationalen Filmfestspielen ab: Die Berlinale wird zunehmend von Frauen dominiert. Auch wenn sie im Wettbewerb noch nicht 50, sondern nur 44 Prozent der Inszenierenden stellen, so werden doch auch in vielen von Männern gemachten Filmen Geschichten von und über Frauen erzählt. Umso vielsagender ist ihre fast vollständige Abwesenheit in „Eine deutsche Partei“.

Edda Bauer