74. Internationale Filmfestspiele Berlin

Die Deutschen auf dem schmalen Grat

Die Deutschen auf dem schmalen Grat

Foto: Sterben © Jakub Bejnarowicz / Port au Prince / Schwarzweiss / Senator


Bei einem so großen deutschen Filmfestival wie der Berlinale gehört es zum guten Ton, das Augenmerk speziell auf das deutsche Filmschaffen zu werfen. Der ehemalige Festivalleiter Dieter Kosslick richtete 2010 zu diesem Zweck die Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ ein, in der rund ein Dutzend Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilme von Schülern diverser deutsche Filmhochschulen gezeigt wurden. Diese "Perspektive" ist nun weg. Carlo Chatrian hat sie im Zuge der Festival-Verschlankung als eine seiner letzten Taten als künstlerischer Berlinale-Leiter über Bord geworfen. Der deutsche Film ist aber noch da.

Im Wettbewerb konkurriert Regisseur Andreas Dresen nun schon zum fünften Mal mit einem Spielfilm um einen Bären. 2022 gewann seine Komödie über die kämpferische Mutter und Titelheldin in "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" zwei der Trophäen. Um Kampf und Mutterschaft, aber in gedämpftem Ton geht es auch in "In Liebe, Eure Hilde". Liv Lisa Fries spielt darin die Berliner Widerstandkämpferin Hilde Coppi, die hochschwanger 1942 von der Gestapo verhaftet wird. Dresen erzählt ihre Geschichte in Rückblicken wie sie ihre späteren Mann Hans kennenlernt, mit ihm morsen übt und Plakate klebt, im Gefängnis den gemeinsamen Sohn zur Welt bringt und in ihrem letzten Brief an die Mutter die titelgebenden Worte schreibt. Erstaunlich rätselhaft bleibt die Botschaft dieser Tragödie, in der es nur nette Menschen gibt. Der Gefängnisarzt, die Krankenschwestern, die Schließerin, der Richter, ja sogar der Gestapo-Mann, der Hilde verhört hat, finden es schade, dass so ein nettes Mädchen, das doch obendrein grade Mutter geworden ist, hingerichtet werden soll. Dabei ist sie doch nur "aus Liebe" in die ganze Sache geraten.

Immer schon für viel Gesprächsstoff auf der Berlinale sorgten die Filme ("Der freie Wille" Wettbewerb 2006, "Gnade" Wettbewerb 2011) von Regisseur Matthias Glasner. Diesmal versteckt sich hinter dem düsteren Titel „Sterben“ eine angemessen schwarze Komödie, in der geweint, gehadert und hart aufgearbeitet wird. Drei Stunden lang geht es um die Familie Lunies, Mutter Lissy (Corinna Harfouch), Vater Gerd (Hans-Uwe Bauer), Tochter Ellen (Lillith Stangenberg) und Sohn Tom (Lars Eidinger), ein Dirigent, der mit einem jungen Orchester das Stück „Sterben“ seines Freundes Bernard (Robert Gwisdek) einstudiert. Das physische Ende der Eltern steht ins Haus, und damit auch die letzte Chance alles zu sagen, was gesagt werden muss. "Wenn du den schmalen Grat nicht triffst, kommt Kitsch raus“, weiß Toms Komponistenfreund Bernard, "entweder Kitsch für die Massen oder Kitsch für ein paar Schlauberger." Glasner hat den schmalen Grat in "Sterben" haargenau getroffen.

Halb deutsch, halb französisch (und belgisch ko-produziert) ist das Schüleraustausch-Drama "Langue Étrangère" der französischen Regisseurin Claire Burger. Die 17-jährige Fanny (Lilith Grasmug) wird für einen Monat bei der gleichaltrigen Lena (Josafa Heinsius) in Leipzig untergebracht. Schon ihre Mütter (Nina Hoss und Chiara Mastroianni) haben sich einst als Teenager getroffen. Fanny und Lena können jedoch nicht viel miteinander anfangen. Das ändert sich erst, als Fanny, sich das Leben einer politischen Aktivistin herbei zu phantasieren, um Lena zu gefallen. Eine Lüge, die droht, den schönen Schein in den Familien hüben und drüben zu zerstören. In "Langue Étrangère" wird gestichelt, geärgert, gemobbt und geliebt. So unterschiedlich die Kulturen sind, aus denen die Mädchen kommen, ihre Sorgen und Nöte sind völkerverbindend.

Die Berlinale findet vom 15. bis 25. Februar statt. Mehr Informationen unter berlinale.de

Edda Bauer