Musik

23.02. | Album der Woche

Abdullah Ibrahim • 3

Gearbox · 26. Januar

23.02. | Album der Woche - Abdullah Ibrahim  • 3

Foto: Dr. Marina Umari


Ein südafrikanischer Jazz-Meister in Bayern

Abdullah Ibrahim zu interviewen, ist außergewöhnlich: Es gibt Weisheiten und Gelächter, aber selten eine konkrete Antwort. Der südafrikanische Pianist ist auch im hohen Alter noch produktiv und berichtet von Unglück, unkonventionellen Songwriting-Methoden und seinem derzeitigen Zuhause am Chiemsee.

Abdullah Ibrahim zählt seine aktuellen Projekte auf. Gerade hat er das Live-Album »3« veröffentlicht, als nächstes soll ein Album mit Quartett folgen, Bigband- und OrchesterWerke sind in der Pipeline. Die Frage, ob der große Pianist mit beinahe 90 Jahren noch neue Songs schreibt, mag also anmaßend erscheinen – aber Ibrahim ist nicht aufgebracht, im Gegenteil: Er amüsiert sich. »Nein, der Song schreibt mich! Ladies and Gentlemen, ich weigere mich, einen Song zu schreiben!« Ibrahim, mit Mütze und Schal in seiner Stube sitzend, beugt sich Richtung Laptop-Kamera und gluckst vor Lachen. »Der Song sagt: ›Hey, setz dich hin, hör zu‹. Er kommt im Schlaf und sagt: ›Wach auf!‹ Es gibt da keine Routinen. Es ist einfach eine Freude.« Das Glück, das der Südafrikaner beim Komponieren empfindet – man kann es hören. Verschiedene Kulturen haben seine Musik beeinflusst, in den 1960ern lebte der Mann aus Kapstadt in der Schweiz, ehe Duke Ellington ihm zur ers- ten Plattenaufnahme verhalf und ihn in die USA brachte. In der Folge flossen Bebop, Blues und Gospel in Ibrahims Songs ein, immer mit einem unverkennbaren Einschlag südafri- kanischer Folklore. Es entstanden sonnige, mitsingbare Melodien von schnörkelloser Schönheit, die ihm in den 1970er-Jahren zu Weltruhm verhalfen. Nachzuhören ist all das auch auf »3«, dem Trio-Album, das Ibrahim mit Cleave Guyton Jr. an diversen Flöten und Kontrabassist Noah Jackson im Sommer 2023 live in London aufgenommen hat. Das Konzert endete, wie alle seine Auftritte enden: mit einer Zugabe am Bühnenrand, die Augen geschlossen, eine Hand an der Wange. Ibrahim nennt es »Trance-Mission.« Ohne Mikrofon und ohne sein Instrument singt er mit brüchiger Stimme: »When I came back to the land I was born, there was no one to welcome me home«. »Ich mache das nicht, weil ich eine Message habe«, erklärt Ibrahim. »Wir Musiker haben als erstes Instrument unsere Stimme. Wir sind die Hüter der Geschichte. Der Song spricht von Anstrengungen und Unglück und davon, wie wir diese Dinge überwinden. Es geht um ein verlorenes Zuhause.« Es war die grausame Zeit der südafrikanischen Apartheid, die Ibrahim 30 Jahre lang um seine Heimat brachte. Musiker standen in dem mörderischen Regime besonders unter Beobachtung, seit 1960 durften Schwarze nicht mehr mit weißen Musikern zusammenarbeiten. Der Pianist ging mit seiner Band nach Zürich, später nach New York. Nur kurzzeitig hielt er es in den folgenden Jahrzehnten in Südafrika aus, erst in den 1990er-Jahren zog er dauerhaft zurück. Dann lernte er die italienische Ärztin Marina Amuri kennen – und lebt seit 2012 in deren Wahlheimat, dem beschaulichen bayeri- schen Chiemgau. Ibrahim holt aus, wenn man ihn fragt, was er am dörflichen Aschau schätzt: »In Afrika habe ich in den townships (oft überbevölkerte Barackensiedlungen, in denen die Schwarzen in der Apartheid isoliert wurden, d. Red.) gelebt, und ich war die meiste Zeit draußen. In der Wüste! Das ist die Essenz des Lebens. Viele Probleme haben wir uns selbst auferlegt, wir verschließen uns vor der Natur. Hier am Chiemsee ist es fantastisch, denn wir genießen die Eigentümlichkeiten der Jahres- zeiten. Gerade haben wir die ersten Kirsch- blüten gesehen! In der japanischen Kultur ist das ein Zeichen der Flüchtigkeit des Lebens: Sie kommen und vergehen.« In Japan lernte Ibrahim den Begriff »mushin« aus dem Zen- Buddhismus. »Es bedeutet: In dem Moment, in dem du über etwas nachdenkst, ist es schon verschwunden. Mushin hilft dir. Dein Geist ist frei von Angst und Ego.« Ein herkömmliches Interview lässt sich mit diesem weisen alten Mann nicht führen; Ibrahim antwortet selten direkt, erzählt kurze Anekdoten und stellt dann überraschende Rückfragen. In einem Märchen kämen Notleidende aus aller Welt zu ihm, um ihn um Rat zu bitten – und diesen anschließend wochenlang zu entschlüsseln. Ob er noch Übungen am Klavier mache, möchte man wissen, und Ibrahim lächelt. »Das Klavier ist nur ein Instrument. Man versucht, etwas zu perfektionieren, das man nicht perfektionieren kann. Deshalb ist es nicht wichtig, zu üben.«


Abdullah Ibrahim

Abdullah Ibrahim
3

Gearbox, 26. Januar

Die Anti-Apartheid-Hymne »Mannenberg« hat Ibrahim an diesem Londoner Sommerabend nicht gespielt – aber das Livealbum »3« ist dennoch tief berührend. Musik, die nostalgisch ist, in der Schmerz und Wehmut mitschwingen, die jedoch immer auch die freundliche Wärme ausstrahlt, die dem Pianisten selbst innewohnt. In zwei je 15-minütigen Stücken begibt sich Ibrahim auf meditative Klangreisen alleine am Flügel; auch seine Band bekommt viel Raum. Großartig, wie viel Leidenschaft Cleave Guyton Jr. in sein Querflötenspiel auf Duke Ellingtons »In A Sentimental Mood« legt. Teil eins des Albums wurde ohne Publikum mitgeschnitten, das Rauschen der alten Bandmaschine ist zu hören. Ibrahim tupft seine unvergleichliche Mischung aus südafrikanischer Folklore und US-Gospel dahin und man glaubt, die Geschichte eines ganzen bewegten Lebens zu hören.

Jan Paersch