Gratis-Interview Roland Kaiser

Roland Kaiser

„Ich bin ein gnadenloser Optimist.“

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  • Paul Schirnhofer
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17. August 2022, Münster. Roland Kaiser steht in den Startlöchern. In wenigen Tagen steigen letzte Sommer-Open-Airs, danach stehen die Proben für seine Herbst- und Wintertour an, die ihn mit neuem Album im Gepäck durch große Hallen in der gesamten Bundesrepublik, in Österreich und der Schweiz führt. Keine Frage, der Schlagerstar ist 2022 so beliebt, wie er es in den Achtzigern war, als Lieder wie „Santa Maria“ berühmt wurden. Und berüchtigt auch: Hinter den milden Melodien stecken bis heute Texte, die es in sich haben. Zeit, über explizite Inhalte zu reden. Aber auch über ein Lied, mit dem sich der Schlagersänger sehr direkt dem Hass und der Hetze entgegenstellt. Roland Kaiser antwortet schnell, erlaubt sich Gegenfragen, kommt auf den Punkt. Der West-Berliner Dialekt des im Wedding Aufgewachsenen schimmert immer mal wieder durch.

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Roland Kaiser, ich habe vorhin das Ergebnis einer Umfrage gelesen, nach der fast 20 Prozent der Deutschen Schlager als ihr Lieblingsgenre angegeben haben. Wird diese Musikrichtung in ihrer Wirkungsmacht unterschätzt?

Ist Schlager denn überhaupt eine Musikrichtung?

Was denn sonst?

Eine Erfindung der Medien vielleicht?

Was glauben Sie?

Erlauben Sie mir noch eine Gegenfrage: Wie würden Sie denn Schlager als Musikrichtung definieren? Was ist für Sie Schlager?

Einfach gestrickte und damit sehr eingängige Lieder über die Liebe mit deutschen Texten.

Okay. Also, egal ob wir Lieder in englischer, französischer oder italienischer Sprache hören: 90 Prozent von ihnen handeln von der Liebe. Das kann also schon kein Alleinstellungsmerkmal des Schlagers sein. Nach eingängigen Melodien, die Menschen sich gut merken können, streben die allermeisten, die sich in der Popmusik versuchen. Und dann sagten Sie noch, Schlager sei einfach gestrickt – doch das wage ich zu bezweifeln. Ich kann Ihnen gerne mal Schlager aus den 20er- und 30er-Jahren vorspielen, die hochgradig komplex komponiert sind, mit schwierigen Harmoniefolgen.

Dann interessiert mich jetzt Ihre Definition eines Schlagers.

Ein Lied, das die Mehrheit kennt. Darum waren auch die Stücke, die Richard Strauss im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert komponiert hat, Schlager. Im Sinne von Gassenhauern. Paul Lincke hat solche Schlager geschrieben, Künstler wie Robert Stolz, Theo Mackeben – alle große Komponisten. Unter anderem von Schlagern, ganz einfach deshalb, weil sie mit diesen populären Liedern mehrheitsfähig wurden. Ich glaube daher, dass der Schlager durch eine Definition, wie beispielsweise Sie sie vorgenommen haben, falsch eingeordnet wird.

Die meisten dieser alten Schlager waren Teile von Operetten. Als kleiner Junge haben Sie sich zusammen mit Ihrer Mutter Operetten im Fernsehen angeschaut. Hat Ihnen das gefallen?

Nein. Was ich daran nicht mochte, war, dass die Darsteller sich nicht entscheiden wollten, ob sie nun singen oder sprechen. Das hat sich dann später auch bei Musicals durchgesetzt, und zumindest als Kind habe ich mich mit dieser Kunstform nicht wohlgefühlt. Sie hat mich nicht angesprochen, das war ein sehr subjektives Gefühl.

Sie singen in Ihren Liedern – die in vielen Fällen Schlager sind, weil viele Leute sie kennen – über sehr viele Spielarten der Liebe. Und zwar auch über welche, die in den Liedern anderer Sängerinnen und Sänger nicht vorkommen. Warum dieser Blick weg von der konventionellen Vorstellung von Liebe?

Was ist denn überhaupt die Liebe? Es gibt sie doch in tausend Spielarten, einige davon sind sexuell, andere vollkommen asexuell. Was an Liebe vorkommt in der Welt, das kann für meine Lieder ein Thema sein.

Gehen wir mal ein paar davon durch. Auf Ihrem neuen Album gibt es ein Stück über eine Ménage-à-trois: „Du, deine Freundin und ich“.

Hier erzähle ich die Geschichte, wie jemand versucht, eine solche Ménage-à-trois hinzubekommen. Die Antwort, ob das funktioniert, ist in dem Lied aber nicht gegeben.

Ob es zum Vollzug kommt…

… bleibt unklar, das wissen wir alle nicht. Es ist also ein Lied über eine Fantasie, nicht über eine Begebenheit.

Im Lied „Er, Sie, Er“ singen Sie über eine offene Beziehung, die Heldin im Lied hat einen Ehemann und einen Liebhaber. Alle drei wissen von der Konstellation.

Die Idee ist hier, zu zeigen, dass Liebe keine Einzeldefinition besitzt, dass es kein festes Regelwerk gibt, sondern verschiedene Wege existieren, in Liebe miteinander zu leben. Wobei die Gesellschaft vor der Aufgabe steht, sich auch mit anderen Formen auseinanderzusetzen, zum Beispiel mit dieser Geschichte von „Er, Sie, Er“. Wobei der eine, deutlich älter als die Frau, ihr sinngemäß sagt: „Also, wenn du noch jemanden brauchst, dann nimm dir das, wir müssen uns deshalb nicht trennen.“ So entsteht ein Arrangement zwischen Dreien, das diese Menschen nicht zerreißt – und das deshalb akzeptiert werden sollte, als eine Form von freiem Willen, die Liebe zu leben.

Und dann gibt es noch ein Stück über Sex an öffentlichen Orten.

Wo denn das?

Bei „Wir spielten immer ohne Regeln“, da geht’s zum Beispiel im Kino zur Sache.

Och, ja, das ist eine Form von Lustempfinden junger Menschen, die eben wenig Rücksicht darauf nehmen, wo es gerade passiert. Auch das soll in der Realität schon mal vorkommen. Sehen Sie, ich habe meine Titel immer schon danach ausgesucht, dass sie in den Texten übers Händchenhalten am Strand hinausgehen. Händchenhalten ist auch schön, keine Frage. Aber ich adressiere nicht nur an das Herz, sondern auch an den Bauch. Oder anders gesagt: an die Sexualität, die in Zweierbeziehungen nun einmal eine große Rolle spielt.

Und in Dreierbeziehungen auch.

Definitiv, ja.

„Ich habe meine Lieder schon immer danach ausgesucht, dass sie in den Texten übers Händchenhalten am Strand hinausgehen.“

Sind Sie gespannt, wie diese Lieder bei Ihren Zuhörerinnen und Zuhörern ankommen werden?

Das ist jetzt mein 30. Album. Eine Veröffentlichung beunruhigt mich nicht mehr. Aber ich bin natürlich vorfreudig, zumal ich davon ausgehe, dass den Leuten – wie Ihnen auch – einige der Geschichten auffallen werden, und ich bin gespannt, wie sie damit umgehen werden.

Sind Sie mit Ihren Themen schon einmal auf Widerstand gestoßen?

Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte von früher, da gab es Anfang der 80er-Jahre das Lied „Manchmal möchte ich schon mit dir“…

… ein Song über den Gedanken, einen Ehebruch zu begehen: „Manchmal möcht ich so gern mit dir/ Doch ich weiß, wir würden viel zu viel riskieren/ Du verlierst den Mann, ich verlier den Freund.“

Genau, und als der ehemalige Chef der Plattenfirma Ariola, Friedel Schmidt, zum ersten Mal dieses Lied hörte, rief er mich gleich an und meinte: „Wenn du jetzt bald in München bist, dann müssen wir uns treffen.“ Ich also hin, und er sagte: „Das kannst du doch nicht machen! Das ist die Frau eines Freundes, die du da in diesem Lied begehrst!“ Ich entgegnete: „Hör dir das Lied doch mal in Ruhe bis zum Ende an, es kommt doch gar nicht dazu, ich äußere nur den Wunsch.“ Es gibt doch Millionen von Menschen, die einen anderen Menschen reizvoll finden, obwohl sie es nicht sollten und dieser Reiz offensichtlich auch auf Gegenseitigkeit beruht. Das Lied handelt davon, diese Zuneigung zu gestehen, sich diesen Seitensprung auszumalen. Es handelt nicht davon, ihn in die Tat umzusetzen. Das Ende ist offen.

Eines Ihrer ersten Lieder mit solchen, nennen wir es so, vieldeutigen sexuellen Ebenen war 1980 „Santa Maria“, die deutsche Fassung eines Italo-Pop-Songs von Oliver Onions. Einen ersten Textentwurf haben Sie damals verworfen. Warum?

Diese erste Version hatten mein Text-Partner Norbert Hammerschmidt und ich über das Schiff von Christoph Columbus geschrieben.

Ein maritimes Abenteuerlied.

So in der Art, aber meinem Produzenten gefiel das überhaupt nicht, er ließ die bereits fertige Produktion wieder einstampfen, mit dem Argument, mit einem solchen Text könne das nichts werden. Auf die Frage, was er denn stattdessen wolle, meinte er: „Irgendwas mit Süden. Mit Sonne und Strand. Und Liebe. Macht was!“ Wir waren daraufhin erst mal enttäuscht, weil wir unseren Schiffstext nicht so übel fanden. Also setzten wir uns mit einer Portion Trotz hin, leerten eine Flasche Rotwein und schrieben einen Text, der es an allen Ecken und Enden mit der Sonne und dem Strand und der Liebe übertrieb. Unser Ziel war, dass der Produzent sagt: „Nee, so kann man das nun wiederum auch nicht machen.“ Als er den Text dann las, kam eine Reaktion, die mich wirklich überraschte: „Roland, das ist sensationell!“ Wir dachten, er meinte das ironisch: „Nicht dein Ernst, oder?“ Und er: „Doch, großartig! Das nehmen wir so auf!“ Na ja, und dann habe ich das gemacht.

Es geht um eine Entjungferung.

Im Grunde ist es eine Parodie aus einer trotzigen Rotweinlaune heraus.

Wählen Sie heute bewusst Texte aus, in denen, wie bei „Er, Sie, Er“, die Frau diejenige ist, die sich bestimmte Freiheiten nimmt?

Schon, ja, denn jeder Text ist ein Kind seiner Zeit.

Meine These: Kommt Ihre Musik deshalb so gut an, weil Sie im Bauch Ihrer Hörerinnen und Hörer eine besonders große Resonanz erzeugt?

Man scheint mir das abzunehmen, ja.

Was macht Sie hier zu einem glaubwürdigen Absender?

Könnte sein, dass ich es mit den Jahren gelernt habe, ich mache das nun ja schon sehr lange, seit den 70er-Jahren, und durch diese gewisse Konstanz verbinden die Leute Lieder dieser Art mit mir. Man nimmt mir das ab, gerade die Vielfalt der Perspektiven.

Nehmen Sie uns mal mit auf die Bühne, nach Dresden. Sie haben dort vor einigen Jahren auf einer Gegendemo zu Pegida gesprochen und sich klar gegen diese Bewegung positioniert. Seit 2004 spielen Sie in dieser Stadt jährlich bei der „Kaisermania“ eine Reihe von Sommerkonzerten, 2022 waren es sechs Stück mit jeweils 12.000 Zuschauern. Welche Resonanz kommt oben bei Ihnen an, wenn Sie diese Konzerte spielen?

Ich habe das Gefühl, dass diese Leute nach Hause gehen und sich gut unterhalten gefühlt haben. Und genau das ist mein Job: Ich bin ein Unterhaltungskünstler – und mache den Menschen das Angebot, sie gut unterhalten nach Hause zu schicken. Punkt.

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