Doris Dörrie

Doris Dörrie

„Im japanischen Alltagsleben spielt Fukushima längst keine Rolle mehr.“

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  • Edith Held
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Zur Person

Berlin, 15.02.2016. Elf Tage Berlinale, das bedeutet: eine Stadt, die niemals schläft. Rund um den Potsdamer Platz tummeln sich Filmschaffende aus aller Welt, es ist ein stetes Flirren, viel Hallo und Küsschen-Küsschen. Doris Dörrie hat am Vortag die Premiere ihres Films „Grüße aus Fukushima“ erlebt. Nun sitzt sie an einem langen Konferenztisch, gelassen und strahlend, in einer Polka-Dot-Bluse, ein Glas Wasser in der Hand. Später wird die Regisseurin über die Kunst des Teetrinkens sprechen, über die Eitelkeit in sozialen Netzwerken und über Schmerzerfahrungen, die verbinden. Auch Fukushima ist Thema – und die dort vergessenen Menschen. Doris Dörrie wirkt wie eine Frau, die sich gefunden hat und doch nie aufhört zu suchen. Ihre Neugierde auf das Phänomen Mensch ist immer präsent.

Frau Dörrie, von Hermann Hesse gibt es das berühmte Gedicht „Stufen“, in dem es heißt: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen.“ Und in der letzten Zeile der Appell: „Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde.“ Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie diese Zeilen hören?

Schön, dass Sie das zitieren. Denn da hat er recht, der Hermann Hesse. Nur ist es so wahnsinnig schwer, das auch umzusetzen. Weil es bedeutet, dass man viel Mut aufbringen muss.

Inwiefern gehört Mut zum Abschiednehmen?

Abschied zu nehmen, zu gesunden, das wirklich zu wollen, sich nicht zum Opfer der Vergangenheit zu machen, indem man an der Vergangenheit festhält: das muss man beschließen. Um sich dafür zu entscheiden, die Vergangenheit sein zu lassen, braucht es Mut. Den Mut, loslassen zu können. Uns ist oft überhaupt nicht klar, wie stark wir Tag für Tag in der Vergangenheit hängen. Wenn man diesen Test mal macht und die eigenen Gedanken bewusst beobachtet, dann wird man überrascht sein, wie oft man Sätze denkt wie: „Neulich hätte ich doch das und das machen können.“ Oder: „Der hat gestern das und das gesagt.“ Man reflektiert das Vergangene. Ähnlich oft ist man mit der Zukunft befasst, also mit: „Dann muss ich noch das und das machen.“ Wie wenig Platz letztlich für die Gegenwart bleibt, ist schon erstaunlich.

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