DVD & Blu-ray

Verräter wie wir

Studiocanal · 17. November

Vom Professor zum Spion

Eine Begegnung im Urlaub wirft einen Literaturdozenten aus den geordneten Bahnen seines Lebens in die Halbwelt der Mafia. Die Verfilmung eines Romans von John Le Carré von 2010 (im Original: „Our Kind of Traitor“) wirft Fragen auf über Moral, Schicksal und Zufall sowie das Selbstbild des Menschen. Präsentiert werden außerdem zwei Hauptdarsteller, von denen der eine den anderen an die Wand spielt.

Was wäre, wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt woanders gewesen wäre als dort, wo man tatsächlich war? Tom Tykwer spielte in „Lola rennt“ aus dem Jahr 1998 drei Varianten durch, wie sich das Leben in andere Bahnen bewegt, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt man auf welche Menschen trifft. Alles hängt mit allem zusammen, keiner ist von diesem Einfluss ausgenommen. Doch haben wir eigentlich selbst in der Hand, wohin die Reise geht? Ist alles Zufall oder sind wir dem so genannten Schicksal gnadenlos ausgeliefert? Perry Makepiece (Ewan McGregor), ein Oxford-Dozent für Poetik, ist zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort: In Marrakesch, wo er mit seiner Frau Gail (Naomie Harris) Urlaub macht. Bei einem Tennismatch lernt das Paar den vermeintlich russischen Oligarchen Dima (Stellan Skarsgård) kennen, eine ebenso charismatische wie zwielichtige Gestalt. Der „Russe“ ist im Besitz von Geheimdienstinformationen: In den nächsten Tagen soll ein wichtiger Staatsmann getötet werden. Was genau weiß Dima? Und wer ist dieser Typ in Wirklichkeit? Es stellt sich heraus, dass er in Geldwäschegeschäfte der russischen Mafia verwickelt war; auf einen befreundeten Mafioso wurde bereits ein Attentat verübt, jetzt fürchtet Dima um sein Leben. Um aus den illegalen Machenschaften aussteigen und mit seiner Familie eine neue Existenz in England aufbauen zu können, möchte er dem britischen Geheimdienst brisante Informationen anbieten. Ein gefährlicher Deal, da auch britische Institutionen in die international organisierte Kriminalität verwickelt sind. Die Begegnung mit Perry spielt Dima in die Hände, eignet sich der unauffällige Professor doch bestens, den Deal einzufädeln. Eben noch im Hörsaal, ist Perry plötzlich mittendrin im Spionagegeschäft. Seine bequeme Welt ist nicht mehr und der Wandel bereits im Gange, obwohl Perry ihn zunächst abwehrt: „Was kann ich denn tun? Ich bin nur ein Lehrer!“ Mit der Geschichte eines Lebens, das aus dem Tritt gerät, bedient der Film womöglich eine auch im Publikum verbreitete Sehnsucht. Denn wie viel Abenteuer bietet schon das Alltagsallerlei? Und was können wir schon groß über uns erfahren, wenn wir uns in den ewig gleichen Bahnen bewegen? Das psychologische Analyse-Schema des so genannten Johari-Fensters beispielsweise nennt einen Bereich, der unserem Bewusstsein so lange verschlossen bleibt, bis wir unsere bis dahin verborgenen Fähigkeiten nutzen. Doch dazu braucht es eben auch die entsprechende Situation. In Perry weckt diese nun schließlich doch einen Mut, von dem er nicht geglaubt hätte, dass er in ihm steckt. Er wächst über sich hinaus und bedient damit die altbekannten Etappen einer klassischen Heldenreise. McGregor selbst bleibt trotzdem vorwiegend blass. Was nicht zuletzt an dem besonders präsenten Stellan Skarsgård liegt, neben dem in der Branche viele Darsteller wahrscheinlich selbst in der Form ihres Lebens lediglich grundsolide wirken. Ein Glück: Regisseurin Susanna White verlegt sich in dem langsam inszenierten Spionagethriller nicht auf ermüdende Actionszenen, sondern leuchtet das dramatische Potenzial des Zwischenmenschlichen aus und nutzt den Plot für eine ansehnliche filmische Weltreise von Moskau über Marrakesch, Paris und London bis in die Schweizer Alpen. Der Film, wie auch seine literarische Vorlage, stellen darin die Ähnlichkeiten im Kampf der Systeme heraus. Da die Guten, dort die Bösen? So einfach funktioniert das nicht. Stattdessen begreift man, dass letztlich jeder korrumpierbar ist, wenn nur die Bedingungen stimmen. Man muss nur die Nachrichten verfolgen, um zu erkennen, dass die skrupellose Zockermentalität längst zum „Business as usual“ gehört und die Gesetze des Finanzmarkts eine Mentalität befördern, die über Leichen geht. Die Demokratie wird das nicht alles aushalten können. Sie ist zerbrechlicher als man denkt.

Unser Fazit: Hitchcock-Liebhaber erleben ein Déjà-vu. Schon in „Der Mann, der zuviel wusste“ von 1965 mit James Stewart und Doris Day, trifft ein amerikanisches Ehepaar in Marrakesch auf einen ominösen Franzosen. Die zeitlose Klasse des Altmeisters erreicht dieser überzeugende Thriller nicht ganz, regt aber so unterhaltsam wie entschlossen zum Nachdenken an.

Sylvie Sophie Schindler