Literatur

Roger Willemsen

Wer wir waren

S. Fischer · 24. November

Ein entschiedener Appell

Im Februar verstarb Roger Willemsen. Sein letzter Text blickt aus der Zukunft auf unsere Gesellschaft zurück. Insa Wilke hat ihn lektoriert und betreut.

Frau Wilke, Sie sind die Herausgeberin von Roger Willemsens Vermächtnis „Wer wir waren“. Wie sind Sie vorgegangen?
Das Buch ist die längere schriftliche Version einer Rede über die Zukunft, die er im Sommer 2015 gehalten hat. Das bedeutet, er selbst hat diese Worte noch abgesegnet. Ich hätte Schwierigkeiten gehabt, zu diesem Zeitpunkt einen Text zu veröffentlichen, bei dem ich nicht hätte sicher sein können, ob er ihn für fertig gehalten hat. So musste ich nur die richtige Fassung finden.

Wer sind wir in seinen Augen?
Wenn ich als Leserin mit einem Zitat antworten darf, dann sind wir „jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.“ Um diese fatale Doppelung geht es immer wieder in seiner Rede. Um dieses „Wir“, das sich selbst nicht aufhält, obwohl es weiß, dass es sich dringend aufhalten müsste.

Was bedeutet das konkret? Wieso muss man uns aufhalten?
Zum Beispiel aufgrund der Tatsache der ökologischen Katastrophe. Ein Themengebiet, das in der Rede einen hohen Stellenwert einnimmt. Ein anderes ist die Veränderung des Bewusstseins im Zuge des technologischen Fortschritts. Es kommt ihm dabei aber nicht auf eine kulturpessimistische Kritik an, sondern auf die Bedingungen dieser Veränderungen. Sie sind es, die er sehr genau beschreibt.

Wie geht er dabei vor?
Roger Willemsen fragt in seiner Rede ganz konkret nach den Konsequenzen unseres Handelns. Das scheint mir wichtiger zu sein als das Urteil, das mit einer Kritik ja auch immer verbunden ist. Seine kritische Haltung engt nicht ein, sondern eröffnet Handlungsspielräume. Den Begriff „Kulturpessimismus“ kritisiert er in seiner Rede sogar beiläufig.

Das bedeutet, aus seiner Sicht besteht für uns noch Hoffnung?
In der Tat. Neben dem Gefühl des tiefen Ernstes und des Entsetzens steckt gleichzeitig auch Hoffnung in dieser Schrift. Es ist ein entschiedener Appell. Er fragt: Wollen wir das wirklich? Kann das sein, dass wir „Nichtwissen“ behaupten, obwohl wir uns der Konsequenzen unserer Lebensweise vollkommen bewusst sind? Das ist der Staffelstab, den er an die nächste Generation übergibt.

Aufgezeichnet von Björn Eenboom

Unser Fazit: Roger Willemsens letzter Text schlägt einen ungewohnt melancholischen und ernsten Ton an. Aus der Perspektive der Zukunft blickt er auf unsere Gesellschaft zurück und wirft mit seinen stets präzisen Beobachtungen die wirklich relevanten Fragen unserer Zeit auf. Trotz seiner formalen und inhaltlichen Strenge entwickelt der Text eine Sogwirkung und hallt lange nach. Ein ungemein bereicherndes Buch.