Musik

Pretenders

Alone

Warner · 21. Oktober

Back On The Chain Gang

Chrissie Hyndes Karriereherbst fällt golden aus: Auf „Alone“ lösen sich aggressives Selbstbewusstsein und überraschende Verletzlichkeit gegenseitig ab.

Wenn sich auf einem Pretenders-Album vermehrt ruhige oder introspektive Stücke finden, darf man sich davon nicht gleich täuschen lassen. „Es war reine Ironie des Schicksals, dass man derart heftige Drogenkonsumenten wie uns immer als solide und sauber betrachtete, nur weil wir so schön poppige, melodische Platten machten“, schreibt Bandleaderin Chrissie Hynde in ihrer Autobiografie „Reckless“. Wer das Buch gelesen hat, bekommt eine Ahnung davon, wie die Sängerin es in den Siebzigerjahren schaffte, möglichst viele Drogen zu nehmen und dabei möglichst wenig Spaß zu haben. Trauriger, medial kontrovers diskutierter Höhepunkt war eine Gruppenvergewaltigung durch eine Bikergang, von der Hynde irritierenderweise fand, dass sie selbst schuld daran sei. Heute sind die Pretenders eine andere Band als vor 35 Jahren, als gleich zwei Mitglieder an einer Überdosis starben. Das typische Altersalbum ist es trotzdem nicht geworden. „I hate my reckless, phony self-destruction course“, singt Hynde mit einer Verve, die diesen Hass, der heutzutage nur noch im Studio kultiviert wird, fast wonnevoll klingen lässt. „Alone“ ist ein Album, das von geschlagenen Schlachten, überstandenen Stürmen und der Lust am Leben handelt, wenn man sich nichts mehr beweisen muss. Hyndes geflügeltes Wort, demzufolge Rock’n’Roll „fuck you and not fuck me“ bedeutet, und das ihren Hit „Precious“ aus dem Jahr 1979 zum Disco-Evergreen machte, findet sein Echo im Titelstück der aktuellen LP. „I like being alone“, heißt es da. „What are you gonna do about it? Absolutely fuck all! I’ll do whatever I want!“ Diesmal hat die Pretenders-Chefin dabei zum Glück sogar einen recht berühmten Weggefährten. Der von den Black Keys bekannte Dan Auerbach stammt wie Hynde aus der Autoreifenstadt Akron, Ohio und hat genau wie sie eine dezidierte Vorstellung von Tradition und davon, wie man ihr huldigt. Inzwischen gehören die Pretenders selbst in den Schrein, vor dem Auerbach kniet, und er lässt ihren Songs einen fettfreien Sound angedeihen, der auf leicht kitschverdächtigen Stücken wie dem letzten Hit „I’ll Stand By You“ noch nicht zu haben war. Kitschverdächtig ist diesmal gar nichts. Auch wenn etwa die Hälfte des neuen Albums eher balladesk klingt, lässt sich kein einziges Stück davon in die Autopilot-im-Alter-Ablage einsortieren. Vielmehr ist „Alone“ der Beweis dafür, dass der Rock’n’Roll vortrefflich jung halten kann – wenn man eben nicht zwischendurch unerwartet stirbt.

Markus Hockenbrink

Unser Fazit: Das neue Pretenders- Album symbolisiert eine Wahl, die Donald Trump nie gewinnen wird. Darauf stehen Selbstbeherrschung und -erkenntnis Pate für einen unbeugsamen Individualismus, der trotz widriger Umstände Platz zum Feiern findet. „Alone“ löst den vermeintlichen Konflikt zwischen Dickkopf und gesellschaftlichem Glück dank starker Songs in Wohlgefallen auf. Diese musikalische Verjüngungskur strahlt über Chrissie Hyndes Vermächtnis hinaus auf das gesamte Rock'n' Roll- Idiom ab und etabliert ihre Stimme endgültig.