Musik

Nick Cave & The Bad Seeds

Skeleton Tree

Bad Seed Ltd / Rough Trade · 9. September

Im Auge des Todes

Mit „Skeleton Tree“ veröffentlicht Nick Cave das erste Album seit dem tödlichen Unfall seines Sohnes – ein düsteres und herzzerreißend schönes Werk.

Man fühlt sich sofort wie ein Eindringling. Als würde man eine unsichtbare Linie überschreiten. „You fell from the sky and crash landed in a field near the river Adur“, singt Nick Cave in „Jesus Alone“, dem Eröffnungsstück seines neuen Albums „Skeleton Tree“. Es ist Caves erstes Album seit dem Tod seines Sohnes Arthur. Im Juli 2015 stürzte der 15-Jährige von einem Felsvorsprung in der Nähe von Brighton. Caves Schmerz und die Verzweiflung hört man nicht nur in jenem ersten Satz des Albums, sondern in jeder einzelnen Note, in jedem Ton. „Skeleton Tree“ ist so düster, dass es fast weh tut. Und gleichzeitig herzzerreißend schön. Ein Großteil des Albums war schon geschrieben, als Caves Sohn verunglückte. Statt sich sorgfältig ausgearbeiteten Geschichten und Charakteren zu widmen, hatte Cave in Hinblick auf die Texte bis dato viel improvisiert. Dass Themen wie Tod, Verlust und Trauer auf dem Album bereits eine große Rolle spielten, könnte man als geradezu schockierende, selbsterfüllende Prophezeiung betrachten. Einige Texte allerdings änderte Cave nachträglich. Nur zwei Wochen nach dem tragischen Unfall kehrte er ins Studio zurück. Vielleicht war es der einzige Weg, das Geschehene zu verarbeiten. Deshalb ließ Cave die Aufnahmen auch von dem Filmemacher Andrew Dominik dokumentieren. „One More Time With Feeling“ lief zur Veröffentlichung des Albums in ausgewählten Kinos. „Nick sagte mir, er wolle einige Dinge loswerden, wisse aber nicht, wem er sie sagen sollte“, erzählt Dominik im Rückblick. „Ein traditionelles Interview sei einfach nicht machbar, aber er habe dennoch das Bedürfnis, den Leuten, die seine Musik lieben, den Stand der Dinge verständlich zu machen. Es erschien mir, als sei er gefangen. Er musste irgendetwas tun, um zumindest den Eindruck von Fortschritt machen zu können.“ Die minimalistisch gehaltene Produktion verleiht „Skeleton Tree“ auch musikalisch eine unmissverständliche Schwere und Düsterheit. Tiefe, basslastige Töne, Synthesizer, Drum-Computer und Loops spielen eine große Rolle. Vielmehr als im Rock sind die Songs in der Welt von Ambient und Electronica zuhause, laut wird es auf dem Album nie. Auf diese Weise fallen Caves Worte noch mehr ins Gewicht, zum Beispiel in dem jazzigen „Anthrocene“. „All the things we love, we lose“, haucht Cave über eine sanfte Klaviermelodie. „Skeleton Tree“ ist das Dokument einer persönlichen Tragödie und bewegend schön – aber schwer zu verdauen.

Unser Fazit: Eine gewisse Dunkelheit prägte das Schaffen von Nick Cave schon immer, doch sein 19. Album „Skeleton Tree“ ist ehrlicher, intensiver und bedrückender als alles, was der Australier zuvor aufgenommen hat. Cave leidet, trauert und verzweifelt. Dabei sind die vom tragischen Unfalltod seines Sohnes beeinflussten Songs teilweise so persönlich, dass man sie kaum ertragen kann – wären sie musikalisch nicht so wunderschön.

Nadine Wenzlick