Musik

Neuerscheinungen im März

Tigran Hamasyan - An Ancient Observer

Nonesuch, 31.03.2017

Bei „An Ancient Oberserver“ ist der Name Programm. In seinem neuen Soloalbum präsentiert der experimentelle Jazz-Pianist „musikalische Beobachtungen der Welt, in der wir heute leben, und die Last der Geschichte, die wir mit uns herumtragen.“ In seiner Musik lässt der gebürtige Armenier ergo Altes von Neuem durchdringen. „The Cave Of Rebirth“ startet mit leichtfüßigem Klavier, das Hamasyan in der Kopfstimme à la Sigur Rós summend begleitet. Dann kommt plötzlich ein stampfender Beat dazu, der den Song mitten in unsere heutige Zeit katapultiert. Hamasyan hat ein Händchen für ungewöhnliche Verbindungen, die überraschend gut funktionieren. In dem elfminütigen „Nairian Odyssey“ stellt er nicht nur einmal mehr sein pianistisches Können unter Beweis, sondern auch seine Fähigkeiten als Beatboxer. Allgegenwärtige Konstante in der Musik Hamasyans sind auch auf diesem Album die armenischen Klangwelten. „An Ancient Observer“ ist der Beweis dafür, dass Tradition und Innovation keine Antagonismen sein müssen. Katharina Raskob

Foto: Elena Petrosyan


China Moses - Nightintales

MPS/Edel, 31.03.2017

Schon das Cover ist eine Ansage. „Leg dich nicht mit mir an“, bedeutet China Moses mit kühlem Blick von oben herab. Gefälliger Schmusejazz für Hotel-Lobbys ist von dieser Frau nicht zu erwarten. Sie hat es nicht leicht gehabt: als Tochter von Jazz-Legende Dee Dee Bridgewater musste sie sich ständige Vergleiche gefallen lassen; nach zwei eher konventionellen Alben galt sie schon als Interpretin von Standards. Und nun „Nightintales”: elf kompakte, basslastig groovende Songs, keiner wie der andere. Und: alles Eigenkompositionen. Das Album beginnt mit Big-Band Jazz, widmet sich dann New-Orleans-trunkenem Blues, nur um anschließend entspanntem R’n‘B mit Disco-Handclaps und swingendem Piano zu verfallen. „Lobby Call“ fährt schwelgerische Geigen und ein Solo von Trompeter Takuya Kuroda auf, „Breaking Point“ gar blubbernde Funk-Synthesizer à la Stevie Wonder. Ein Mixtape mit hochklassiger Black Music von einer Sängerin, deren Namen man nicht länger in einem Atemzug mit dem ihrer Mutter nennen wird. Jan Paersch


Depeche Mode - Spirit

Columbia/Sony, 17.03.2017

„Where's the Revolution" fragt Dave Gahan auf „Spirit“, dem 14. Depeche-Mode-Album. Eine Frage, die sich manch einer bei der Band schon länger stellt. Meilensteinen wie „Violator“ eiferten die Briten selbst in den Augen ihrer treuesten Fans zuletzt vergeblich hinterher. Als Revolution kann man auch „Spirit“ nicht bezeichnen – aber zumindest als kleinen Aufstand. Und zwar nicht nur, weil Stücke wie „Going Backwards“, „The Worst Crime“ oder „Fail“ ein kritisches Statement zum aktuellen Weltgeschehen liefern, sondern eben auch musikalisch. Nach drei Alben mit Ben Hillier, arbeitete die Band dieses Mal mit James Ford, Mitglied der Elektro-Band Simian Mobile Disco. Mit ihm nahmen Depeche Mode ihr vielleicht düsterstes Album auf: „Spirit“ fiept und rumpelt, quietscht und wummert auf geradezu bedrohliche Weise. Die Platte ist sperrig, voller Krach und braucht deshalb Zeit. Wer diese hat, entdeckt allerhand spannende Sounds und Ideen. Auf die große Revolution gilt es allerdings weiter zu warten. Nadine Wenzlick


Aimee Mann - Mental Illness

SuperEgo Records, 31.03.2017

Ausschnitte des Lebens mit all seiner Komplexität aus Unschärfen und Brüchen auf ein Album zu bannen, ist kein leichtes Unterfangen. Doch für die amerikanische Singer-Songwriterin Aimee Mann, eine Meisterin der Melancholie, sind solche Schattierungen der Stoff aus dem ihre Songs gemacht sind. Nach fünfjähriger Pause, besinnt sich die Künstlerin, die vor allem durch den Soundtrack zu Paul Thomas Andersons Meisterwerk „Magnolia“ Bekanntheit erlangte, nun mit ihrem neunten Studioalbum „Mental Illness“ eben dieser Wurzeln. Und es glückt. Nach einer zuletzt experimentell rockigen Phase, überrascht sie mit fein abgestimmten Arrangements aus vornehmlich Gitarre, Klavier und Gesang. Das Album durchzieht ein fast schon depressiver Grundton, aus dessen Quell sie ihre Balladen aus dem Reich der abgehängten und abseitigen Charaktere schöpft. Zwar findet sich kein Highlight vergangener Zeiten wie „Wise up“ oder „One“, doch dank der so harmonischen Gesamtkomposition möchte man das Album immer wieder hören. Björn Eenboom


Jethro Tull - The String Quartets

BMG, 24.03.2017

Bekannte Songs früherer Tage mit einem Orchester einzuspielen, gilt heutzutage als alter Hut. Bei einer Band wie Jethro Tull, die bereits auf ihrem zweiten Album „Stand Up“ im Jahr 1969 Bachs Bourrée aus der Suite in E-Moll adaptiert hat, und deren prägendstes Instrument eine Querflöte ist, liegen derartige Kooperationen indes fast schon auf der Hand. Bereits 1985 erschien mit „A Classic Case“ eine Interpretation großer Hits wie „Locomotive Breath“ oder „Aqualung“ im klassischen Gewand, damals flankiert vom London Symphony Orchestra. Dieses Mal hat sich Mastermind Ian Anderson auf das kleinere Format eines Streichquartetts eingelassen. Natürlich sind oben genannte Songs enthalten, aber auch weniger bekanntes Material wird interpretiert. Die Arrangements sind teils sehr nah am Original, schweifen aber auch mal weiträumig ab. Anderson nennt das augenzwinkernd „großartige Musik für Hochzeiten und Beerdigungen.“ Manch ein Fan mag sich mit Grausen abwenden, aufgesetzt wirkt dabei allerdings nichts. Chris Hauke


Hauschka - What If

City Slang/Universal, 31.03.2017

Hauschka alias Volker Bertelmann wurde eine Ehre zu Teil, die nur wenigen Deutschen bislang vergönnt war. Gemeinsam mit Dustin O’Halloran wurde er für seine Filmmusik zu „Lion“ für einen Oscar nominiert. Aber statt sich auf diesem Erfolg auszuruhen, bringt der Düsseldorfer Komponist einfach direkt seine nächste Platte auf den Markt. Eigentlich keine große Überraschunge bei jemandem, der in den letzten 12 Jahren mehr als 15 Alben veröffentlicht hat. Mit „What If“ kehrt er der Filmmusik für den Moment den Rücken und wagt sich ans Experimentieren. Titel wie „Familiar Things Disappear“ halten, was ihr Name verspricht. Instrumente werden von Soundflächen abgelöst und entführen in eine Weltraum-Odyssee, wo den Geräuschen nach zu urteilen gerade jemand mit Lichtschwertern kämpft. Dass in seinem neuen Werk auch ein bisschen Gesellschaftskritik verpackt ist, verraten Titel wie „Constant Growth Fails“. „What If“ ist alles andere als einfacher Hörgenuss - dafür aber innovativ, spannend und abenteuerlustig. Katharina Raskob


Jamiroquai - Automaton

Virgin EMI, 31.03.2017

Wenn eine Band, die ein Jahrzehnt musikalisch so dominiert hat wie Jamiroquai die 90er, ein neues Album herausbringt, kann das die Zuhörerschaft spalten. Eingefleischte Funk-Fans mögen darauf zählen, dass Jay Kay an den gewohnten Sound von Virtual Insanity anknüpft. Andere erwarten den innovativen Spirit, den Acid Jazz vor über 20 Jahren entfaltete. „Automaton“ bedient beide Erwartungen, wenn auch keine übermäßig. Das ist völlig in Ordnung, denn Jamiroquai können sich auf dieser Flughöhe einiges erlauben. Der Opener „Shake It On“ klingt wahrhaftig wie eine Kopie ihrer selbst. Der titelgebende Track „Automaton“, verwirrt dann den Hörer sogleich mit Videospiel-Gefiepe und verzerrter Stimme. Das gesamte Album taucht unterhaltsam in den Funk-Untiefen eines Isaac Hayes und flirtet gleichzeitig mit AI-Elementen. Eins ist sicher: Die schnurgerade Bassline von Tracks wie „Nights Out In The Jungle“ oder der sirenenhafte Chor von „Carla“ werden weiterhin Generationen von Tanzwütigen auf den Floor locken. Miguel Peromingo


Laura Marling - Semper Femina

More Alarming, 10.03.2017

Immer wenn Laura Marling ein Album hervorbringt, wird ihr junges Alter in Relation zur Anzahl ihrer Veröffentlichungen gesetzt. Das soll unterstreichen, wie talentiert und selbstsicher die britische Songschreiberin seit ihrem Debüt „Alas, I Cannot Swim“ komponiert. Inzwischen ist sie 27 und „Semper Femina“ ihr sechstes Studioalbum. Es wirkt – was eigentlich unmöglich schien – noch souveräner und leistet sich einen größeren konzeptionellen Überbau. Den Titel vom römischen Dichter Vergil geborgt und auf die Wade tätowiert, singt Marling mit phänomenaler Ruhe und Gelassenheit über Sexualität, Weiblichkeit und Geschlechterrollen. Wenn sie so weiter macht, könnte es durchaus passieren, dass sie mit Ende Zwanzig als altersmilde gilt. Doch so zurückhaltend die folkloristischen Songs auch sein mögen, sie frohlocken gerade wegen des akustisch-weichgezeichneten Minimalismus. Weniger hieße beinahe völlige Stille. Und der Unterschied zwischen Stille und „Semper Femina“ ist Kunst nach Joni Mitchell. Daniel Thomas


Spoon - Hot Thoughts

Matador/Beggars/Indigo, 17.03.2017

Die US-amerikanische Band Spoon oszilliert seit zwei Jahrzehnten stilistisch zwischen Indie-Rock, glanzvollem Pop, nerdiger Funkyness und einem feinen Händchen für Abstraktion. Mit „Hot Thoughts“ legen sie nun – zumindest in einem entscheidenden Punkt – ihr Meisterwerk ab, denn es gelingt ihnen, echte Kunst zu erzeugen, der man das Artifizielle aber in keinem einzigen Moment anhört. Denn zunächst laufen die zehn Songs ihres neunten Longplayers herrlich gut rein; der Klang wurde deutlich aufpoliert, jedes Detail umspült das Ohr ästhetisch wertvoll, die Melodien zünden spätestens beim zweiten Durchlauf. Doch die wahre Tiefe und Vielschichtigkeit offenbart sich erst peu à peu: Wenn man plötzlich feststellt, dass bald jeder Song überraschende Wendungen nimmt, dass Harmonien kombiniert oder auch kontrastiert werden, die der klassischen Lehre nach niemals zusammenpassen dürften. „Hot Thoughts“ ist damit Art-Pop reinsten Wassers, ohne dass man dies je merken würde. Und damit erst recht höchste Kunst. Sascha Krüger