Literatur

Literaturtipp der Woche

Celeste Ng • Kleine Feuer überall

dtv • 20. April

Pubertät ist, wenn die Eltern anfangen, schwierig zu werden. Zwischen Sachlichkeit, Romantik und Spannungslektüre nimmt Celeste Ngs Roman eine Vermittlerposition ein.

Shaker Hights, eine Nachbargemeinde der US-Großstadt Cleveland, wurde einst als Mustersiedlung angelegt, in der den Problemen des urbanen Milieus schon planerisch vorgebeugt wurde. Die Wohngegend mit ihrem rautierten Straßennetz und den großzügigen Gärten richtet sich bis heute vor allem an wohlhabende Mittelschichtfamilien und ihre Vorstellung von häuslicher Idylle: viele Autos, wenig Kultur, weiße Menschen zwischen weißen Wände. In Film und Literatur wird dieses Szenario gerne dem Spott preisgegeben, und auch Celeste Ng legt ihre kleinen und größeren Feuer in der vertrauten Kulisse der Spießigkeit. Die Geschichte spielt Mitte der Neunziger-Jahre und beginnt mit der Bilderbuchfamilie Richardson, die drei wohlgeratene und insgesamt pflegeleichte Kinder im Highschool-Alter hat. Nur das vierte, die 14-jährige Izzy, schlägt aus der Art: grüblerisch und humorlos, dafür aber kreativ, impulsiv und mit einem frühreifen Gerechtigkeitssinn ausgestattet – die Stimme der abweichenden Meinung. In den meisten Romanen tragen solche Mädchen Doc Martens und hören laute Musik, und Izzy ist keine Ausnahme. Dann ziehen eines Tages die etwa gleichaltrige Pearl und ihre Mutter Mia in die Nachbarschaft und stellen durch ihren unkonventionellen Lebensstil die Verhältnisse in Frage. Die Besitztümer der beiden Vagabunden passen in einen VW Golf, ein Mann ist weit und breit nicht in Sicht, und auch Mias Beruf, die weitgehend brotlose Kunstfotografie, irritiert die Umgebung. Die beiden Teenager-Töchter fasziniert derweil der jeweils andere Haushalt. Pearl beginnt die Souveränität und das Selbstbewusstsein zu schätzen, die mit Wohlstand und Konformismus einherzugehen scheinen und genießt die Aufmerksamkeit der Richardson-Söhne, Izzy dagegen blüht in der Gesellschaft der geheimnisvollen Mia auf. Bis die Entdeckung einer ungewöhnlichen Fotografie alles verändert. Wie schon in ihrem Aufsehen erregenden Debüt „Was ich euch nicht erzählte“ gelingt es Celeste Ng, eine Figurenkonstellation von der Größe einer kleinen Fernsehserie auf ein vielschichtiges Konfliktpotenzial zusteuern zu lassen, das dann in seinen unterschiedlichen Facetten eskaliert. Die Stärke der Erzählung, die in ihrer Sprache nicht weit vom Jugendbuchstil entfernt ist, liegt darin, diese Facetten geschmeidig miteinander zu verzahnen und spannend hintereinander zu reihen. Selbst wenn dafür an manchen Stellen die Plausibilität strapaziert wird: Die Lebenslügen der Erwachsenen wirken genauso echt wie die Perspektiven der Teenager, von denen sie nach und nach perforiert werden. Im Nachhinein macht auch der Schauplatz in einer privilegierten Vorstadtsiedlung von vor 20 Jahren Sinn, denn dort kann man noch ein Amerika antreffen, das sich einbildet, alle Klassen- und Rassenfragen zur eigenen Zufriedenheit gelöst zu haben. Davon kann heute keine Rede mehr sein, und auch in dieser Hinsicht ist „Kleine Feuer überall“ ein Buch über das Erwachsenwerden. Das geht meistens auch mit harten Wahrheiten einher. Celeste NG ist im April 2018 auf Lesereise, mehr unter www.dtv.de

Markus Hockenbrink


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