Kino

Kinostart der Woche

Transit

Pfiffl-Medien · 5. April

FLUCHT NACH VORN

Regisseur Christian Petzold verlegt in „Transit“ einen Exil-Roman von Anna Seghers aus dem Jahr 1944 in die Gegenwart. Mit erstaunlichem Ergebnis.

Irgendwann reicht es mit diesen Geschichten. Sie scheinen sich alle zu gleichen, warum noch zuhören. Menschen mussten ihre Existenz zurücklassen, die Flucht antreten. Jetzt sitzen sie im mexikanischen Konsulat in Marseille und warten auf ihre Visa. Wie die Frau mit den zwei Hunden, die sie von einem jüdischen Paar geerbt hat. Oder der Dirigent, der in Caracas ein Konzerthaus übernehmen soll und sich selbst wundert, wer in solchen Zeiten noch die klassische Moderne braucht. Auch Georg (Franz Rogowski) hat es in diese Vorhölle der Ungewissheit verschlagen, er ist derjenige, dem die Schicksale der anderen zum Hals raushängen. Obwohl er im Grunde weiß, dass sie alle erzählenswert sind. Wie sein eigenes.

Die jüdische Schriftstellerin Anna Seghers beschreibt in ihrem autobiografischen Roman „Transit“ die Odyssee eines Deutschen auf der Flucht im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs. Regisseur Christian Petzold, der sich zuletzt bereits mit „Barbara“ und „Phönix“ historischen Stoffen gewidmet hat, adaptiert das Buch für die Gegenwart. Und er lässt es – das ist der so einfache wie extrem wirkungsvolle Kunstgriff – auch im Heute spielen. Zwar ist die Rede von Faschisten, die auf Marseille vorrücken. Aber auf der Tonspur läuft David Byrnes „Road to Nowhere“. Die Polizisten in Paris tragen moderne Uniformen. Und Georg erinnert sich einmal an den Zombiefilm „Dawn of the Dead“, in dem die Untoten eine Shopping Mall belagern. Selbst nach dem Tod, spottet er, fällt den Menschen nichts Besseres ein als einkaufen zu gehen.

Georg hat in Paris die Identität eines Schriftstellers angenommen, der Selbstmord begangen hat. In Marseille trifft er auf dessen ahnungslose Frau Marie (Paula Beer), in die er sich verliebt. Auch schließt er zaghafte Freundschaft mit der Frau eines unterwegs verstorbenen Kameraden und ihrem kleinen Sohn, einem Borussia-Dortmund-Fan. Beide werden eines Tages plötzlich verschwunden sein. Die Themen Flucht und Exil, sie rücken einem hier unaufdringlich nahe. Petzold muss gar nicht betonen, welcher geschichtsblinde Irrsinn in der gegenwärtigen Abschottung Europas liegt, in der Stimmungsmache gegen Menschen, die wegen eines Krieges alles zurücklassen müssen. „Transit“ findet starke Bilder für einen universellen Zustand: den des zermürbenden Wartens zwischen den Welten. Für die Verlorenheit zwischen Aufbruch und Ankunft, in einem ortlosen Raum ohne Versprechen.

FAZIT Christian Petzolds auf der Berlinale gefeiertes Drama „Transit“ setzt die Geschichten über Geister in der Gegenwart fort, für die der Regisseur ein besonderes Faible hat, siehe „Gespenster“ oder „Yella“. Mit dem großartigen Franz Rogowski in der Hauptrolle ruft er ins Gedächtnis, dass Flucht ein Thema ist, das die Deutschen in besonderer Weise angeht.

Patrick Wildermann