Musik

Herbert Grönemeyer

Alles

Vertigo Berlin / Univeral · 25. November

Keine Fragen offen

Eine Frage im Vorfeld lautete: Wie würde Grönemeyer sein „Alles“ verpacken? 23 CDs in einer Box, wie bekommt man das praktisch hin? Unschön sind die Erinnerungen an Gesamtwerkboxen von Künstlern wie Paul Simon, Leonard Cohen oder Lou Reed, deren Alben die Plattenfirmen in eine so enge Schachtel pressten, dass das Bild von den Sardinen in der Büchse noch untertrieben ist. Das ist keine artgerechte Haltung. Aber, klar, der Effizienzgedanke siegt: Gesamtwerk-Sammlungen sind meist Versuche, noch einmal ein wenig Geld mit alten Alben abzugreifen, die es längst für kleines Geld beim Streaming-Dienst gibt. Herbert Grönemeyer, der lebenslange Bochumer, der sein erstes Lebensjahr im Landkreis Goslar verbrachte und heute in Berlin und London wohnt, nimmt jedoch in Deutschland als Künstler eine absolute Sonderrolle ein. Gut, es gibt Lindenberg, das Maskottchen der Menschen, die mutlos von einem Leben zwischen Suff und Luxushotel träumen. Westernhagen spielte ein paar Jahre lang auf Grönemeyers Niveau, dann geriet seine Karriere in Unwucht, zuletzt erschien eine MTV Unplugged-Platte – MTV Unplugged, das waren die Neunzigerjahre, das besitzt heute den niedlichen Retro-Charme der alten Tamagotchi- Sammlung. Auch von Grönemeyer gibt es eine Unplugged- Platte, aus dem Jahr 1995, mitten drin im Jahrzehnt, gut getimed. Wie man sowieso festhalten muss: Grönemeyer hat ein sehr gutes Gefühl fürs Timing, da hilft ihm bis heute die Schauspielerfahrung, das Arbeiten mit Leuten wie Peter Zadek, Claus Peymann oder Wolfgang Petersen. Den Streaming- Diensten zum Beispiel verweigerte er sich – aber nur so lange, bis Spotify & Co. zum neuen Standard wurden und der Boykott den Sinn verlor. Generell ist Grönemeyer da, wenn man ihn braucht – aber auch wieder weg, wenn es droht, zu viel zu werden. Das ist in Deutschland eine wichtige Eigenschaft, weil so die neidischen Trolls kein Futter für ihre Lästereien erhalten und die Fans das Gefühl haben: Wenn er bei uns ist, dann aus voller Überzeugung. Das spürt man bei seinen Arenakonzerten, Herbert ist dann hibbelig, als könne er es kaum erwarten, seine Dutzenden Hits rauszuhauen und die Leute glücklich zu machen. Aber dann ist auch wieder gut. Der Privatmensch Grönemeyer ist ein geschütztes Wesen. Selbst in der Zeit rund um „Mensch“, als er den Tod seiner 1998 gestorbenen Frau Anna verarbeitete, besaß Grönemeyer die Kontrolle, was erzählt wird und was nicht. Seine Methoden sind recht rigide, Journalisten und vor allem Fotografen können leidvolle Geschichten über den Umgang des Teams Herbert mit Interviewzitaten und Bildern berichten. Klar, auch Grönemeyer erlaubte sich ein paar Schnitzer. Diese amtlichen Songs zu den großen Fußballturnieren, zuletzt mit Felix Jaehn, besitzen den Charme einer eilig verschickten WhatsApp- Nachricht zum Geburtstag. Und den Start in die Karriere hat er auch versaut: „Grönemeyer“, sein Debütalbum aus dem Jahr 1979, ist musikalischer Murks mit preisgekrönt hässlichem Cover. Es ist daher, so viel Eitelkeit darf sein, nicht Teil dieser Box, die ansonsten eben tatsächlich „Alles“ abdeckt: Die 13 folgenden Studioalben, von „Zwo“ (1980) bis „Dauernd Jetzt“ (2014). Dazu das tolle englische Album „I Walk“, Live-Platten, die beiden Filmmusiken zu „The American“ und „A Most Wanted Man“ sowie zwei Raritäten-Discs mit Remixes und Beiträgen für Alben anderer Künstler oder Compilations. Auch der neue Konzertmitschnitt „Live aus Bochum“ liegt bei. Die triumphale Show aus dem VfL-Stadion ist zudem einzeln erhältlich. Aber wie ist es denn nun verpackt? Keines seiner Alben muss unter Platzangst leiden. In der tellergroßen Box stecken drei Schuber, die CDs sind in Inlays geparkt, die Infos sind nicht miskroskopisch klein, sondern gut lesbar. Das Originallayout verschwindet dadurch, was Nostalgiker schade finden – aber die haben die alten Platten ja eh schon. Wirklich toll ist das begleitende Buch mit Essays von Musikjournalisten, die nicht nur die Bio nacherzählen, sondern sich wirklich Gedanken zu Grönemeyer gemacht haben. Dazu Fotos, einige alte, viele neue. Und ein Kunstdruck zum Aufhängen. These: Das Ding heißt zwar „Alles“. Aber alles war das noch nicht.

André Bosse

Unser Fazit: Beim Durchhören der Platten merkt man, wie durchwachsen das Frühwerk war, auf brillante Momente folgt jugendlicher Quatsch und schauderhafter 80er-Pop. „Bochum“, „Sprünge“ und „Ö“ ist die definitive Trilogie des Deutschrock, mit „Luxus“ steigt Grönemeyer in die Neunziger ein, die ihm kommerzielle Rückschläge brachten - uns aber seine zeitlosesten Alben. Auch „Mensch“ besitzt bis heute die Kraft eines großen Romans. Zuletzt nur noch eine Sache: Bitte keine Fußballlieder mehr.