Kino

Diese Woche neu im Kino

Lion Universum/Tobis

Vor zehn Jahren begann Dev Patel als Jugendlicher seine Schauspielkarriere, mit „Slumdog Millionär“ wurde er wenig später zum Star. Nun schließt sich für ihn mit dem Oscar-Anwärter „Lion“ von Garth Davis ein Kreis.

Lion Indien wird ihn wohl nie wieder loslassen, davon ist auszugehen. Und das obwohl Dev Patel, geboren 1990 im Londoner Stadtteil Harrow, die meiste Zeit seines Lebens nie einen direkten Bezug zu diesem Land hatte. Zwar sind seine Eltern indischer Abstammung, doch beide wuchsen im kenianischen Nairobi auf, bevor sie nach England auswanderten. Ein Urlaub in der Kindheit war somit seine einzige wirkliche Indien-Erfahrung – „und den habe ich wegen all der Moskitos gehasst“, erinnert er sich. Doch dann, nach einer ersten Rolle als britischer Teenager in der Serie „Skins“, spielte er die Hauptrolle in Danny Boyles mit acht Oscars ausgezeichnetem Sensationserfolg „Slumdog Millionär“. Plötzlich war für den jungen Mann nichts mehr wie vorher, vor allem in der Filmbranche, in der südasiatische Schauspieler jenseits von Bollywood bis heute selten über Mini-Rollen hinauskommen, galt Patel mit einem Mal als ‚Aushänge-Inder’. Statt sich gegen diese Zuschreibung zu sträuben, machte er das Beste daraus. Mit der Komödie „Best Exotic Marigold Hotel“ und deren Fortsetzung gelangen ihm weitere Welterfolge. In „Die Poesie des Unendlichen“ verkörperte er den Mathematiker Srinivasa Ramanujan. Anderswo – wie in der Serie „The Newsroom“ oder dem Sci-Fi-Film „Chappie“ – spielten seine Wurzeln weniger eine Rolle, dafür kam das Klischee des Technik-Nerds zum Zuge.

„Das fand ich immer besonders komisch, denn man kann mit Technologie kaum weniger am Hut haben als ich. Von Social Media habe ich keine Ahnung und bis vor Kurzem war ich der vermutlich letzte Blackberry-Nutzer der Welt.“, lacht Patel. Das Internet spielt auch im neuen Film des 26-Jährigen eine Rolle, denn auf die Spuren seiner Kindheit begibt er sich als Saroo in „Lion“ zunächst mithilfe von Google Earth. Natürlich betritt er später auch selbst indischen Boden, sodass sich für Patel in gewisser Weise der Kreis zu „Slumdog Millionär“ schließt: Wieder spielt er die erwachsene Version eines hinreißenden Jungen; wieder gilt es, in Indien einen geliebten Menschen zu finden; wieder ist der Film ein hochgehandelter Oscar-Kandidat. Doch gleichzeitig stellt „Lion“ für den Hauptdarsteller auch den Beginn eines neuen Kapitels dar. Erstmals ist Patel nicht nur ungestümer Jugendlicher, charmanter Scherzkeks oder smarter Informatiker, sondern empfiehlt sich auch als vielseitiger Protagonist für dramatisch-anspruchsvolle Hauptrollen.
Patrick Heidmann


A Cure For Wellness

A Cure For Wellness

A Cure For Wellness
Twentieth Century Fox

Wenn die Pfleger „Zauberberg“ lesen und die blonden Krankenschwestern makelloses Weiß tragen. Wenn die Bergluft die Wangen rötet und das Wasser als besonders klar gilt, dann ist man endlich angekommen an seinem verdienten Platz im exklusiven schweizerischen Sanatorium. Oder im jüngsten Spektakel von Gore Verbinski, das gänzlich ohne Piraten, Karibik und Depp auskommt. „A Cure For Wellness“ wartet stattdessen mit den idyllischen Gewölben von Schloss Hohenzollern auf und mit Dane DeHaan auf der guten und Jason Isaacs auf der bösen Seite der Spa-Industrie. Etikettiert als Mystery-Thriller kann der Film aber noch mehr als schick und teuer aussehen, nämlich Atmosphäre und Aale. Ersteres erzeugt Verbinski durch klassische Sirenen-Gesänge auf der Tonspur, nebst steampunkigen Eisernen Lungen statt Eisernen Jungfrauen für die Optik. Sensationell haptisch wird der Schauder aber durch die Aale, die glitschig, kalt und omnipräsent aus diesem Thriller eine ungewöhnliche Erfahrung der physischen Art machen.
Edda Bauer


Bailey

Bailey Bailey - Ein Freund fürs Leben
Constantin

Lasse Hallström, aufopfernde Treue und der Hund als bester Freund des Menschen. Die Kombi klingt vertraut? Gut möglich: Bereits 2009 hat der schwedische Regisseur mit „Hachiko – Eine wunderbare Freundschaft“ einen Film über die besondere Beziehung zwischen Hund und Mensch ins Kino gebracht. „Bailey – Ein Freund fürs Leben“ trägt nicht nur einen ähnlichen Titel. Auch der Plot dreht sich im Kern um das gleiche Phänomen. Außergewöhnlich ist aber die Kameraführung. Viele Szenen sieht der Zuschauer durch Baileys Augen. Auch die Verbalisierung seiner Gedankengänge sorgt für einige Lacher. Seinen Seelenverwandten Ethan (Dennis Quaid) – der mittlerweile schwer in die Jahre gekommen ist – hat er natürlich trotzdem nie vergessen. Als dann noch dessen alte Jugendliebe ins Spiel kommt, ist das Kitsch-Finale vorprogrammiert. Wer seichte Unterhaltung mag, kommt voll auf seine Kosten.
Katharina Raskob


Loving Loving
Universal

Ein akutes Problem mit dem historischen institutionalisierten Rassismus in den US-Südstaaten ist ausgerechnet die Bürokratie. Als Richard und Mildred Loving 1958 in Washington heiraten, handeln sie absolut rechtskonform, in ihrer Heimat Virginia dagegen kriegen sie nächtlichen Besuch vom örtlichen Sheriff. Der findet nämlich, dass eine Ehe zwischen Weißen und Schwarzen gegen Gottes Gesetz ist. Weil die Lovings keine flammenden Bürgerrechtler, sondern eher zahme Landeier sind, ist ihr Widerstand zuerst dickköpfig, dann umso inspirierter. Regisseur Jeff Nichols, ansonsten zuständig für ominöse Mystery-Dramen („Midnight Special“), bleibt ein Meister der Auslassungen. Er verzichtet nicht nur auf den üblichen Showdown vor Gericht, sondern auch auf Geigen und Waldhörner und den Rest der latent erpresserischen Gefühlsklaviatur. In der Ruhe, die stattdessen einkehrt, liegt die Kraft. Hauptdarsteller Joel Edgerton sieht zwar so aus, als würde er jeden Moment jemandem ins Gesicht springen, tut es aber nie.
Markus Hockenbrink


Neruda Neruda
Piffl Medien

Mit welcher Erwartung schaut man ein Biopic? Die ganze Wahrheit wird man bei einem auf 90 Minuten zusammengeschrumpften Leben kaum erwarten. Und doch gibt man sich gern der Illusion hin, dass es so gewesen ist. Dass man aber, wie auch immer, Leben erzählen muss und auch erzählen will, insbesondere sein eigenes, das ist, folgt man dem Philosophen Sartre, eine anthropologische Notwendigkeit. Seine These: Man lebt ohnehin sein Leben so, dass es zur Erzählung taugt. Pablo Neruda hat verstanden, wie es geht. Der kommunistische Dichter erregte zeitlebens Aufsehen, nicht nur als Lyriker, sondern auch als Gesellschaftskritiker. Der Regierung ein Dorn im Auge, sollte er, und diese Episode beleuchtet der gelungene, weil subtile Film, beseitigt werden. Den Kampf gegen ihn nimmt Peluchonneau von der faschistischen Polizei in Chile auf. Er, die Nebenfigur, Neruda die Hauptfigur. Doch das Ziel steht dem Verfolger vor Augen: „Ich möchte Zeuge deines Mordes sein. Dann werde ich die Hauptfigur sein.“
Sylvie-Sophie Schindler


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