Literatur

Buchvorstellungen der Woche

Daniel Magariel - Einer von uns

C.H. Beck, 19.09.2017

Einer von uns "Wie hieß noch mal das andere Wort für Zwangsgemeinschaft?", sinnierte einst Harald Schmidt. Ach ja, Familie. Dass das traute Heim unter widrigen Umständen auch zu einer verhängnisvollen Verkettung verwachsen kann, macht untrüblich der Debütroman „Einer von uns“ des amerikanischen Schriftstellers Daniel Magariel deutlich. Ein Vater entflieht mit seinen zwei halbwüchsigen Söhnen der gescheiterten Ehe und will in New Mexico neu anfangen. Doch auf die anfängliche Euphorie folgt schnell Ernüchterung. Denn die Risse des väterlichen Verhältnisses zu seinen Söhnen werden sukessive größer. „Er zog mich eng an sich und klopfte mir im Rhythmus der Scheibenwischer auf den Rücken. Es war eine hilflose Geste; so umarmte man einen trauernden Fremden.“ Diese Entfremdung wird nicht zuletzt durch den Drogenkonsum des Vaters beschleunigt, der die Söhne in ein diabolisches Netz aus Gewalt und Zuneigung fesselt, aus der es keinen Ausweg gibt. Ein eindrucksvolles, von einer klaren Sprache gezeichnetes Drama.

Björn Eenboom


Robert Sapolsky - Gewalt und Mitgefühl

Hanser, 25.09.2017

Gewalt und Mitgefühl Was würde ich Hitler antun? Darüber dachte Robert Sapolsky bereits als Kind nach. Zu seinen Gewaltfantasien gehörten: ihm die Zunge herausreißen, ihm das Rückenmark am Hals durchtrennen, ihm die Augen aus dem Kopf schälen. Inzwischen hat Sapolsky, einer der führenden Neurowissenschaftler weltweit, die abgründige Seite menschlichen Verhaltens erforscht: Gewalt. Wie bei jedem Menschen ist das Verhältnis zu Gewalt ein widersprüchliches. Da haben wir kein Problem damit, dort schon. Gefühle wie Wut und Angst sind der Ursprung von Gewalt, so der Dalai Lama. Ein Gegenmittel wäre: Mitgefühl. Eine aus evolutionsbiologischer Sicht in unserem Fürsorgesystem fest verwurzelte Fähigkeit. Auf 960 Seiten, die nie langatmig oder trocken daherkommen, sondern sich wie ein Thriller weglesen, sorgt Sapolsky mit Erkenntnissen aus Biologie und Psychologie für zig Aha-Effekte und überlässt uns einer Hoffnung: „Die Tendenz der Menschen, einander Schaden zuzufügen ist weder universell noch unvermeidlich. Die Wissenschaft beginnt, uns Wege zu zeigen, wie wir sie vermeiden können.“ Seinem pessimistischen Ich sei es schwer gefallen, das zuzugeben. Aber, so Sopolsky: „Es besteht tatsächlich Anlass zu Optimismus.“ Stichwort: Neuroplastizität. Denn Erfahrungen, die Erwachsene machen, beeinflussen auch die Synapsen, mitunter verändern sich die Dimensionen von Hirnregionen. Der Wissenschaftler scheut sich auch nicht vor dem Hinweis „immer auf der Seite der Engel zu sein.“ Ein starkes, ein notwendiges Buch.

Sylvie-Sophie Schindler


Michael Finkel - Der Ruf der Stille

Heyne Hardcore, 11.09.2017

Der Ruf der Stille Die Geschichte des US-Amerikaners Christopher Thomas Knight klingt im wahrsten Wortsinne unglaublich - ist aber wahr und beginnt im Jahr 1986. Kurz nach seinem Schulabschluss begibt sich Knight auf eine Art Road Trip. Mit dem Ziel, ein paar Seen im Bundesstaat Maine zu besichtigen, biegt er von einem schmalen Waldweg auf den nächsten ab. Bis es keinen mehr gibt. Er lässt sein Auto stehen und wandert weiter in den Wald hinein. Danach vergehen 27 lange Jahre, bis Christopher Thomas Knight das nächste Mal einen Menschen zu Gesicht bekommt. Er war damals 20 Jahre alt, gesund, gebildet, geliebt von seiner Familie und wurde zum einsamen Eremit, wie vermutlich nie jemand zuvor. „Ich kann das alles nicht erklären“, sagt er später. „Ich hatte keine konkreten Pläne, als ich losging, habe über nichts nachgedacht. Ich tat es einfach.“ Journalist Michael Finkel las von Knight – wie die meisten anderen auch - in der Zeitung. Nach über 1000 Diebstählen, bei denen er meist nur Lebensmittel und nie mehr als nötig klaute, wurde er schließlich 2013 bei einem weiteren erwischt und landete im Gefängnis. Finkel nahm Kontakt zu ihm auf und so beginnt „Der Ruf der Stille“, sein beeindruckender Bericht über den obsessiven Rückzug eines Mannes aus der Gesellschaft. Die knapp 250 Seiten Biografie gehen weit über die bloßen Tatsachen hinaus und sind so reich an Details, dass es eher an einen Non-Fiction-Roman erinnert. Die Geschichte des „Flüchtlings aus der menschlichen Rasse“: sie zieht in ihren Bann.

Jonas Grabosch


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