Literatur

Buchvorstellungen der Woche

Salman Rushdie - Golden House

C. Bertelsmann, 05.09.2017

Golden House Bald drei Jahrzehnte gilt die gegen Salman Rushdie verhängte Fatwa, deren Kopfgeld erst 2016 auf über vier Millionen Dollar erhöht wurde. Angesichts seines neuen Opus Maximus über die nach New York geflohene Familie eines moralisch zweifelhaften indischen Immobilien-Tycoons fragt man sich, ob dieser fortwährende Zorn einer ganzen Ethnie aus Rushdie den angstfreiesten zeitgenössischen Erzähler gemacht hat. Kaum anders ließe sich die Chuzpe erklären, mit der er das gesamte, fast erdrückende Arsenal an Ideen, Erzählperspektiven, Handlungsebenen und Bergen an Film-, Musik- und Comic-Anspielungen nutzt, das ihm zur Verfügung stand. Jeder andere hätte sich zuweilen gefragt, ob dieses konsequent Überbordende aus mythischen, exzentrischen und märchenhaften Ereignissen sinnvoll ist. Nicht so Rushdie: Er fabuliert, kommentiert und extrapoliert begnadet und munter bis zum Anschlag – und schafft damit einen übermächtigen Roman über die Verwerfungen unserer Zeit in all ihren absurden Extremen.

Sascha Krüger


Sven Regener - Wiener Straße

Galiani Berlin, 07.09.2017

Wieder Straßen Schon im Interview zu „Der kleine Bruder“, dem dritten und folglich letzten Teil der Lehmann-Trilogie, sagte Regener, weitere Bücher aus dem Kreuzberger Kosmos Anfang der 80er seien möglich, würden dann aber eher als Sitcom-ähnliches Ensemblestück daherkommen. Und so ist es nun: „Wiener Straße“ beginnt, wo „Der kleine Bruder“ 2008 aufgehört hatte, nämlich in einer komplett schwarz gestrichenen Wohnung in der Wiener Straße. Bewohnt werden soll sie vom Personal dieses Screwball-Comedy-Romans. Einer davon ist auch Frank Lehmann, der neun Jahre später, als die Mauer fällt und das West-Berlin der 80er einfach so zu Ende geht, zum Herr Lehmann wird. Hier gehört er zu fast einem Dutzend Protagonisten, mit denen Regener seine Story erzählt. Der Stärkste von ihnen: H.R. Ledigt, ein Kölner, der sich in Berlin als Künstler und Mensch ausprobiert. Das Buch liest sich wie ein Lustspiel, geht rechts die Tür zu, geht sie links wieder auf. Das Tempo ist hoch, geredet wird viel, langweilig wird es nie.

André Boße


Mich Vraa - Die Hoffnung

Hoffmann und Campe, 05.10.2017

Die Hoffnung Auf den ersten Blick mutet Mich Vraas „Die Hoffnung“ wie ein fragmentarischer Abenteuer-Roman in Brief- und Tagebuch- Form an, der seinen Anfang 1803 nimmt. Genau in diesem Jahr lässt Vraa die Kapitänstocher Maria ein vermeintlich ausrangiertes Sklavenschiff auf ihrer Reise Richtung Westindien besteigen. Schnell muss sie jedoch feststellen, dass der Menschenhandel noch lange nicht aufgegeben wurde. Zwanzig Jahre später soll Maria auf den Humanisten Mikkel Eide treffen, der seinerseits in der dänischen Kolonie Sankt Thomas eine Kampfschrift gegen die Sklaverei verfassen will. Unter diesem narrativen Überbau verhandelt Vraa anhand der immer eindringlicheren und substantielleren Selbstreflexionen seiner Protagonisten jedoch die großen Themen des Menschseins: Schuld, Begierde, Liebe, die Frage nach dem Guten und dem Wert des Menschen. Das liest sich in Zeiten nicht enden wollender Flüchtlingsdiskussionen wie ein Kommentar zu unserer Zeit – und Vraa leistet damit einen fundamentalen Beitrag.

Jonas Grabosch


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