Literatur

Buch der Woche

Steffen Schroeder - Was alles in einem Menschen sein kann

Rowohlt · 10. März

Besserungsanstalt?

Vollzugshelfer. Ein eher unbeliebtes Ehrenamt. Schauspieler Steffen Schroeder hält seine Erfahrungen in einem bewegenden Buch fest, das auch einige Fragen aufwirft.

Hauptberuflich verkörpert Steffen Schroeder Kommissar Kowalski, der bei der „SOKO Leipzig“ in Mordfällen ermittelt. Privat hat der Schauspieler sozusagen die Seiten gewechselt und betreut seit einigen Jahren den lebenslänglich verurteilten Mörder „Micha“ als Vollzugshelfer. Wegen einiger schwerer Gewaltdelikte, sitzt Micha mit kurzen Unterbrechungen seit dem 16. Lebensjahr im Gefängnis – der sogenannten Besserungsanstalt. Dieser Begriff ist für Schroeder ein Paradoxon: „Es gehört schon einiges dazu, um da „gebessert“ rauszukommen. Micha meinte zu mir, er habe die wirklich schlimmen Dinge eigentlich erst im Gefängnis gelernt. Die Hierarchie und die Mechanismen unter den Gefangenen, da herrscht eine ganz eigene Dynamik, der man sich schwer entziehen kann.“ In vielen Fällen seien Alternativen zu Gefängnisstrafen die humanere und vor allem sinnvollere Lösung: „Es gibt definitiv Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, sehr gefährlich sind, und die müssen wir wegsperren. Aber das sind im Verhältnis zu denen, die insgesamt im Gefängnis sitzen, nur wenige. In Berlin sind aktuell um die 70 Leute wegen Erschleichung von Dienstleistung inhaftiert. Meistens sind das einfach Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft aufwachsen und um die sich niemand kümmert. Die müsste man eher unterstützend an die Hand nehmen, beispielsweise mit Sozialarbeit. Dass der Knast in einer solchen Situation hilft, ist meines Erachtens ein Trugschluss.“ Ein Schicksal hat Schroeder besonders geprägt: Rico, ein guter Freund und Mithäftling Michas stirbt überraschend an Hirnbluten. Nach einigem Drängen, erklärt Schroeder sich bereit, ein würdiges Begräbnis für ihn in die Wege zu leiten. Dafür streckt er eine hohe Summe Geld vor - ohne eine Sicherheit, diese jemals von den Häftlingen zurückgezahlt zu bekommen. „Seit ich das alles mache, bin ich dankbarer für das, was ich bisher vom Leben geschenkt bekommen habe. Das mit Rico war zur gleichen Zeit, als Uli Hoeneß inhaftiert wurde. Ich finde das skurril: Da ist ein Junge, der nur von einem Heim ins andere gewandert ist und nie wirklich eine Chance im Leben hatte. Er raubt ein paar Banken aus, um sich etwas Geld zu besorgen. Beinahe wäre er sicherheitsverwahrt worden und hätte sein ganzes Leben im Knast verbracht. Und ein Herr Hoeneß, der den Hals nicht vollkriegt, ist heute wieder Präsident des FC Bayern München. Das ist schon eine schräge Welt.“

Unser Fazit: „Was alles in einem Menschen sein kann“ ist keine leichte Kost, aber gerade deswegen unglaublich wichtig und mutig. Steffen Schroeder zeichnet ein einfühlsames Porträt von Micha und sensibilisiert dafür, dass es auch in der Welt des Verbrechens kein simples Schwarz und Weiß gibt, ohne dabei die Taten der Gefangenen zu bagatellisieren oder zu beschönigen. Ein Buch, das lange nachhallt.

Katharina Raskob