Musik

Album der Woche

Solomon Grey • Human Music

Mercury KX • 16. Februar

Foto: Fiona Garden

Soloman Grey komponieren eigentlich Filmmusik. Mit „Human Music“ haben sie einen Soundtrack geschrieben, dessen Ursprung eine tödliche Krebsdiagnose ist.

SolomonGreyCoverJoe Wilsons Mutter Sandy wird mit einem Hirntumor im Endstadium diagnostiziert. „The Weight“, der Titel der „Human Music“ eröffnet, entsteht direkt nach dieser niederschmetternden Nachricht, noch im Auto auf dem nach Hause weg. „Der Song kam einfach, und ich nahm ihn auf meinem Telefon auf“, erzählt Wilson. Die epische Nummer beginnt mit schweren Klaviermelodien, zu denen sich bald Streicher gesellen und sofort das Kopfkino anwerfen. Zeilen wie „One last kiss of mother and child“ lassen es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen, wenn man Wilsons Geschichte kennt und sich somit der unabänderlichen Realität solcher Aussagen bewusst ist. „Human Music“ ist also ein Soundtrack für Sandys letzte Reise. Mit der Annahme, dass das zweite Album von Joe Wilson und Tom Kingston voll von tiefer Trauer und Melancholie ist, liegt man aber falscher als man denkt. Denn bis zu ihren letzten Tagen, die sie dank des Vereins Dignitas in der Schweiz selbstbestimmen durfte, behielt sie sich ihre Lebensfreude. „Natürlich gab es traurige Momente, aber es war keine traurige Zeit, es war ein schöner Sommer“, sagt Wilson über die letzte gemeinsame Zeit mit seiner Mutter. „Wonderful World“ beispielsweise ist einer dieser ermutigenden Momente. Die Streicher verbinden sich mit Synthesizern und Wilsons Kopfstimme zu hoffnungsvollen Harmonien, die einander umgarnen, den Knoten in der Brust lösen und das Atmen etwas leichter machen. Die größte Stärke des Duos ist es, ihre Songs in die Breite wachsen zu lassen. Obwohl nur wenige Titel länger als vier Minuten sind, trägt jede Nummer das Gewand eines epischen Finales. Das mag zum großen Teil an den feinsinnigen Arrangements liegen, die das 22-köpfige Orchester gekonnt mit dem legendären Vintage-Synthesizer CS-80 verknüpfen und so ihre eigene Welt erschaffen. Egal was man nun vor seinem inneren Auge während des Hörens vor sich sieht, sicher ist, dass diese Platte Filmmusikcharakter hat und ganze Landschaften entstehen lässt. Der Titel der Platte hätte nicht besser gewählt sein können. „Human Music“ ist menschliche Musik. Oder eben Musik für Menschen. Besonders – aber natürlich nicht nur – für Menschen, die gerade eine schwierige Phase durchleben oder mit einem Schicksalsschlag zu kämpfen haben. Denn Soloman Grey machen vor, wie man sich nicht von der Trauer erdrücken lässt, sondern Kraft aus der Schönheit der Erinnerungen schöpft.

Unser Fazit

„Human Music“ ist ein Film ohne Bilder. Das britische Duo erschafft mit klassischen Kompositionen, die sie stilvoll mit ihrer elektronischen Studio-Produktion verbinden eine ganze Welt aus Klängen. Sie schaffen ein Manifest für das Leben, von dem man eine ganze Menge lernen kann. Solomon Grey liefern mit ihrer orchestralen Musik den Aufruf dazu, nicht vor der Trauer zu kapitulieren, sondern stattdessen den schönen Dingen mehr Gewicht beizumessen.

Katharina Raskob