Musik

Album der Woche

Melody Gardot • Live in Europe

Decca • 09. Februar

Photo: Franco P. Tettamanti

Melody Gardot Live in Europe

Perfekter Blick zurück

Zeitlos und doch aus vollem Herzen nostalgisch: In der Musik von Melody Gardot geht beides auf selbstverständliche Weise zusammen...

Mehr als 300 Konzerte hat die Mitte der 1980er-Jahre in New Jersey geborene Singer-Songwriterin und Jazz-Musikerin Melody Joy Gardot in den Jahren 2012 bis 2016 in Europa gegeben, von Portugal bis Norwegen, von Frankreich bis Österreich, von den Niederlanden bis in die Schweiz – ein umfangreiches Live-Oeuvre, aus dem die US-Amerikanerin nun die Essenz gezogen und in ein denkbar schlicht „Melody Gardot – Live In Europe“ betiteltes Doppelalbum gegossen hat.

Bei aller Programmatik in der Zusammenstellung des Werkes wurde sie dabei doch auch durch Gedanken zu zwei übergeordneten Ideen getragen und gelenkt: dem menschlichen Streben nach Perfektion im Licht ihrer ultimativen Relativität – und der Wehmut im Blick zurück. Im Booklet des wahlweise als schmuckes CD-Foldout-Digipak oder als über fünf Seiten ausgebreitetes Vinyl-Set erhältlichen Albums sagt sie dazu: „Ob man vorgebildet ist oder etwas zum ersten Mal beobachtet, ob man religiös ist oder Agnostiker, ob man gelassen ist oder unglücklich: Alles und jede Ansicht ist relativ. Schönheit und ihre Wirkung hängen sehr davon ab, wie und von welchem Standpunkt aus wir etwas betrachten – und im Fall der Musik auch davon, wie nah wir den Lautsprechern sind, aus denen der Klang strömt.“

Gardot, die sich mit der Veröffentlichung von „Live In Europe“ einen langjährigen Traum erfüllt, hat sich daher bewusst dagegen entschieden, die im traditionellen Sinne „besten“ Aufnahmen aus dem genannten Zeitpunkt auszuwählen, sondern solche, die ihr aus mannigfaltigen Gründen in Erinnerung geblieben sind, die sie mitunter zu Tränen gerührt haben. Mit offenem Herzen begegnet sie dabei auch der Nostalgie, die mit diesem Rückblick einhergeht:

„Die Zeit vergeht, heute schneller denn je, ein Wimpernschlag und man ist 30, 40, 50. Schlaf zu lang und der Tag ist vorbei, arbeite zu hart und plötzlich sind deine Kinder erwachsen, denk zu viel nach und du vergisst zu fühlen“, legt Gardot den Finger auf den rasenden Puls unserer Zeit. „Jemand sagte mir einmal: ‚Schau nicht zurück, denn in diese Richtung gehst du nicht’ Doch wenn wir uns nicht ab und zu umdrehen, werden wir wahrscheinlich auch nicht bemerken, wie sich die Zeit an uns heranschleicht. Wir alle müssen gelegentlich einen kurzen Blick in den Rückspiegel werfen, um nicht die Orientierung zu verlieren.“

FAZIT: 17 Aufnahmen finden sich auf „Live In Europe“, darunter eine monumentale elfminütige Einspielung von „The Rain“ (das auf der 2009er-LP „My One And Only Thrill“ enthaltene Stück läuft im Original nur gut drei Minuten) sowie der sanfte Hit „Baby I’m A Fool“ in gleich zwei Versionen. Mit „Goodbye“ findet sich auch eine Spielung zum Thema der Nostalgie unter den Songs.

Friedrich Reip