Musik

Album der Woche

Pat Appleton - A Higher Desire

Content/Edel, 21.04.2017

Pat Appleton

Gezähmte Wildheit

Sie ist die Stimme des deutschen Lounge-Pop: seit 1999 ist Pat Appleton die Sängerin von DePhazz. Nun veröffentlicht sie ihr drittes Soloalbum.

Sie haben zum ersten Mal ein reines Jazzalbum gemacht. Sagten Sie nicht mal, Sie würden den Begriff Jazz gar nicht mögen?
Anfangs habe ich alles von Hildegard Knef bis Whitney Houston gesungen. Andere gehen zur Popakademie, ich habe Tanzmusik gemacht. Als ich dann Jazzmusikern vorgestellt wurde, haben die mich richtig runtergebuttert: was hast du denn überhaupt gelernt? Dieser akademische Aspekt hat mich immer verschreckt, diese Leute mit Rollkragenpulli, die vor der Bühne sitzen und sich das Kinn reiben.

Einige der Stücke auf „A Higher Desire“ sind durchaus politisch.
Ich möchte Themen anstoßen, die sonst im Jazz nicht stattfinden; die Klassiker sind textlich meist gefällig. Ich habe oft das Gefühl: da geht mehr. Deshalb gibt es einen Song über Selbstmordattentäter oder über die Sklaverei-Schuldfrage. Sklaverei ist ein großes Thema in der afro-amerikanischen Community. Jeder muss selbst wissen, welchen Rucksack er sich aufschnallt, aber das Gefühl, weniger wert zu sein, weil die Vorfahren geknechtet worden sind, ist der falsche Weg, eine Persönlichkeit zu entwickeln. Oft werden Vorgänge auch zu schnell als rassistisch tituliert. Es muss nicht immer um die Hautfarbe gehen – die Verkäuferin beim Bäcker kann auch einfach einen schlechten Tag haben.

Ein großes Thema für Sie ist auch Online-Streaming.
Immer, wenn ich mich zum Schreiben hingesetzt habe, habe ich eine Anklage gegen den Verfall der Urheberrechte verfasst. Die Streaming-Anbieter haben mittlerweile perfektioniert, Musik quasi umsonst anzubieten. Ich habe kein Problem damit, dass meine alten Platten im Netz zu finden sind. Aber ein neues Album hat bei Spotify nichts zu suchen. So vieles wird entwertet, hart erkämpfte Strukturen entfallen. Ich wollte schon den Beruf wechseln, hab dann aber gemerkt: ich kann gar nichts anderes.

Sie sind in Aachen geboren, haben dann aber lange in Liberia gelebt. Wie war es dort?
Das war die schönste Kindheit überhaupt. An meinem zwölften Geburtstag habe ich dann zum ersten Mal erlebt, wie boshaft Menschen sein können: statt einer Party gab es einen Militärputsch. Mit 18 bin ich nach Baden-Württemberg gezogen, da herrschten andere Regeln. Ich sage nur: Kehrwoche. Frisch aus Afrika zurück, hatte ich durchaus noch eine gewisse Wildheit in mir. Mittlerweile hab ich mich angepasst und schreie auch mal Radfahrer an, die auf dem Gehweg fahren (lacht).

Interview: Jan Paersch

Fazit: Auf ihrem dritten Album kehrt Pat Appleton zu ihrer zweiten Muttersprache Englisch zurück: „A Higher Desire“, innerhalb von nur drei Tagen aufgenommen, enthält zehn teils nachdenkliche, teils beschwingte Songs. Die Wahlberlinerin verzichtet komplett auf elektronische Sounds, auch Dub- oder RnB-Ausflüge gibt es nicht. Stattdessen: luftiger Jazz mit viel Gospel und Soul, eingespielt von einem Quintett mit Schlagzeug, Kontrabass, Klavier und Trompete.