Musik

Album der Woche

Camille - Oui

Warner, 22.06.2017

Körperklänge

Mehr als junge Chansons: Auf „Ouï“ spielt die einstige Nouvelle Vague-Sängerin Camille Dalmais mit dem Sound von Sprache...

Ein verregneter Morgen im April nahe eines großen Gartens in Berlin Mitte. Überall tropft es von den Blättern und Halmen. Camille fühlt sich wohl. Im Interview bewegt sie sich flüssig zwischen Englisch und Französisch. Schön, denn genau darüber wollten wir mit ihr reden...

Inwiefern konstituiert sich Ihre Persönlichkeit durch Sprache? Ich spreche zwei Sprachen, habe Englisch in der Schule und zu Hause von meiner zweisprachigen Mutter gelernt. Im Englischen habe ich andere Gedanken als im Französischen, und die Sprache hat definitiv eine andere Musik für mich. Als Mutter habe ich ein neues Gefühl dafür entwickelt, wie verspielt Sprache, wie poetisch die Fehler sein können, die wir als junge Menschen machen. Schon der Schrei, den wir von uns geben, wenn wir auf die Welt kommen, ist unser erster Song. Der Klang steht am Anfang, und erst später fangen wir an, Regeln um ihn herum aufzubauen.

Wie wirkt sich das auf „Ouï“ aus? Mit der Arbeit an meinem zweiten Album begann ich, Sprache unabhängig von der Bedeutung wahrzunehmen, die sie trägt. Auch wenn jedes Wort gewählt ist, mal bewusst, mal unterbewusst, so ist doch nichts reiner Zufall. Im Englischen, in dem ich nicht ganz so flüssig bin, bewege ich mich eigentlich eher intuitiv, im Französischen eher rational. Auf diesem Album habe ich mich daher ganz bewusst darauf konzentriert, tief in das Labyrinth der Klangmaterie der französischen Sprache einzusteigen und ihr eine Sinnlichkeit und Beweglichkeit zu geben. Gefühle kann man nicht analysieren. Mir war der Sound wichtiger als die Bedeutung der Worte.

Ist Französisch die Sprache der Liebe? Alle Sprachen sind die Sprachen der Liebe. Neben dem Umgang mit Sprache zeichnet sich „Ouï“ vor allem durch seine enorm vielfältigen Beat-Strukturen aus. Was hat Sie inspiriert? Der Herzschlag ist das Fundament aller Rhythmen. Tatsächlich basieren viele Hits auf 60 BPM, denn da fühlt man sich einfach gut. Bestimmte Rhythmen wirken befreiend und führen zu Trance – einem heilsamen Zustand, dem wir mehr Beachtung schenken sollten. Bei meinen Recherchen bin ich auf eine reiche europäische Tradition von Trance-Tänzen gestoßen, die auch heute noch gelebt wird. Eine wichtige Inspirationsquelle war zudem die kenianische Tänzerin Elsa Wolliaston, die übrigens lange in Berlin gelebt hat. Sie sagt, Trance entstehe, wenn der Körper Klang wird. Man spürt seine eigene Energie und wird ganz leicht.

FAZIT: Mit Nouvelle Vague hat sich Camille vor allem als junge Stimme eines neu gedachten Chansons hervorgetan. Solo arbeitet die gebürtige Pariserin noch experimenteller – so auch auf ihrem siebten Album. Die elf Songs von „Ouï“ brechen lustvoll mit Konventionen von Songwriting und Klangkomposition und sind doch stets konzis arrangiert. Aufregend.

Interview: Friedrich Reip
Foto: Patrick Messina