Roger Willemsen
„Scheinbar gibt es einfach Wichtigeres als die Wahrheit.“
Zur Person
Roger Willemsen wurde am 15.08.1955 in Bonn geboren, wuchs im benachbarten Alfter-Oedekoven auf. Er studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Bonn, Florenz, München und Wien und promovierte über die Dichtungstheorie Robert Musils. Im Anschluss war er als Essayist, Herausgeber und Übersetzer u.a. von Thomas Mann und Umberto Eco tätig. 1991 verpflichtete ihn Premiere für die Talkshow „0137“, es folgten Sendungen im ZDF und WDR wie „Willemsens Woche“ und „Gipfeltreffen“. Unter dem Titel „Valerie“ wurde Willemsens Roman „Kleine Lichter“ 2011 mit Franka Potente in der Titelrolle verfilmt. Willemsen lebt als freier Publizist, Autor und Moderator in Hamburg, ist aber meist mit in literarischer und journalistischer Mission unterwegs.
21.05.2008, Hamburg. Ein aufgedrehter Roger Willemsen empfängt uns im Garten seines Stadthauses in Hohenfelde. Gerade das Disparate zwischen Patriziervillen, Multikulti und Abrisscharme gefalle ihm an der Gegend, sagt er, bevor wir uns einem Thema widmen, das dem Journalisten und Autor schon länger unter den Nägeln brennt: der Lüge in all ihren Spielarten.
Herr Willemsen, glaubt man „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!“, Ihrem gemeinsamen Bühnenprogramm mit Dieter Hildebrandt, dann lügt jeder Mensch pro Tag um die 200 Mal. Ist das nicht etwas hoch gegriffen?
Roger Willemsen: Es ist immer die Frage, was man zugrunde legt. Es gibt ja auch gestische und mimische Lügen: Man strahlt jemanden an, ist im Grunde aber innerlich zutiefst verhärmt. Oder man hat das Bedürfnis, seinem Gegenüber durch einen Akt der Höflichkeit ein gutes Lebensgefühl zu vermitteln. Wenn Sie das zu den faustdicken verbalen Lügen hinzu addieren, ist die Zahl keineswegs zu hoch gegriffen.