Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus Michael Beier

März 2017 / Seite 2 von 3

Was versprechen sich Pädophile von den Missbrauchsabbildungen einerseits und andererseits von den Beziehungen zu Kindern, die sie im echten Leben führen wollen?

Bei den Missbrauchsbildungen ist es so, dass Pädophile nach einer Konkretisierung ihrer sexuellen Phantasien suchen, die sie dann in dieser Bilderwelt finden wollen. Die Kinder in den Phantasien sind bei vielen sehr genau beschreibbar. Beispielsweise ein blonder Junge, der eine bestimmte Pose einnimmt. Da würde derjenige, der das phantasiert, versuchen, genau diese Pose mit einem blonden Jungen als reale Abbildung zu finden. Etwas anderes ist der Wunsch nach Bindung, den wir alle haben. Das ist ein biologisches Programm, das für uns Menschen verbindlich ist. Wenn man Kummer hat, würde man immer versuchen, sich an Menschen zu wenden, die einem Unterstützung geben oder Schutz bieten, selbst wenn man Fehler gemacht hat. Dieses in der Evolution entstandene Bindungsprogramm findet man bei allen sozial organisierten Säugetieren. Und es ist auch wichtig, um Stress zu regulieren. Wenn es Ihnen schlecht geht und Sie einen Menschen haben, der Ihnen nahesteht, dann wird diese Verbindung, insbesondere, wenn sie körperlich ist, eine heilsame Wirkung auf Sie haben.

Was bei Kindern natürlich nicht gegeben ist, da man hier von Einvernehmlichkeit oder sexueller Selbstbestimmung gar nicht reden kann.

So ist es. Die Möglichkeit, mit Kindern partnerschaftliche Bindungen zu verwirklichen entfällt genauso wie die Realisierung sexueller Kontakte.

Und das ist den Betroffenen bewusst?

Manchen eben leider nicht. Und das ist ein enormes Dilemma, denn sie haben ja auch diese natürlichen psychosozialen Grundbedürfnisse nach Annahme, Sicherheit, Schutz und Vertrauen. Diese Dinge entstehen nur zwischen Menschen, die können Sie nicht aus sich alleine schöpfen. Sie können sich nicht alleine trösten.

Wie fühlt es sich Ihren eigenen Erkenntnissen zufolge an, wenn einem das ein Leben lang verwehrt bleiben muss?

Das ist ein extrem schwieriger Part im Leben von Menschen, die eine sexuelle Ausrichtung haben, die eine Verwirklichung unmöglich macht. Für einen Menschen mit pädophiler Neigung bedeutet das, sein Leben so zu organisieren, dass er die Verantwortung übernimmt und dafür Sorge trägt, dass er seine sexuellen Wünsche nicht an ein Kind heranträgt. Diese Enthaltsamkeit ist unabdingbar und ohne Alternative. Sicher könnte man sagen, das Leben ist unfair, wenn es Menschen aufgrund ihrer Präferenzbesonderheit eine solche Abstinenz zwingend abverlangt, aber das Leben ist zu vielen Menschen unfair, die ihr Schicksal zu tragen haben.

Wo setzen Sie hier mit Ihrem Präventionsprojekt an?

Wir ermutigen die Betroffenen, soziale Beziehungen auszubauen, denn sie sind oft sehr isoliert und vereinsamt, was auch immer ein Risikofaktor ist. Als eine der Behandlungsstrategien versucht man, das soziale Back-Up zu erweitern, um die Bindungsdimension auf diese Weise erfüllbar zu machen. Es geht im Endeffekt darum, dass man einer klinisch bekannten Gruppe von Menschen Hilfen anbietet, die sie im Leben stabilisieren und ihre psychischen Belastungen verringern sollen, mit dem Ziel, dass sie niemals Kindern schaden. Und zwar weder durch sexuelle Übergriffe noch durch die Nutzung von Missbrauchsabbildungen. Wir kennen inzwischen die Risikofaktoren, die dazu führen, dass jemand mit pädophiler Neigung sein Verhalten in diesem Sinne nicht kontrollieren kann. Also beeinflussen wir diese Risikofaktoren und helfen den Betroffenen, ihre pädophile Sexualpräferenz adäquat in ihr Selbstkonzept zu integrieren und ihre Bindungswünsche in einer Weise zu erfüllen, die Kindern nicht schadet.

„Je mehr wir gesellschaftlich aufklären und ein gesamtgesellschaftliches Zeichen setzen, dass wir Missbrauch nicht dulden, umso größer sind die Chancen, dass es gar nicht erst zu Übergriffen kommt.“

Wie geht das konkret?

Das kann man sich konkret so vorstellen, dass wir den Menschen zunächst sehr gut kennenlernen. Zunächst, was seine Präferenz betrifft, die ja nicht bei allen Pädophilen gleich ist. Das hängt mit den erwähnten Achsen zusammen, auf denen sich die sexuelle Präferenz ausprägt. Manche werden erregt, wenn sie das Kind sehen, wollen es gar nicht anfassen, andere stellen sich direkte Kontakte bis hin zur Penetration vor. Wenn wir die individuellen Sexualpräferenzen kennen, können wir Verhaltensbereitschaften gut vorhersagen und damit die Risiken benennen. Wir können aber eins nicht: Eine Veränderung der Präferenzen in Aussicht stellen. Wir müssen im Gegenteil von deren Stabilität ausgehen, wie wir gerade mit einer Längsschnittuntersuchung zeigen konnten. Das wissen die Betroffenen auch, die sich häufig genug vergeblich eine solche Veränderbarkeit gewünscht haben. Aber sie wissen ebenfalls, dass sie eine gute Chance haben, ihre Verantwortung so zu erfüllen, dass niemand zu Schaden kommt, wenn sie ihre Wünsche auf der Phantasieebene belassen.

Aber wie kann man eigentlich den Erfolg messen, wenn sich ein Projekt wie Ihres ganz wesentlich im Dunkelfeld abspielt?

Es stimmt, dass das Dunkelfeld durch diese Forschungen jetzt erst bekannter wird. Früher hatte man nur den Zugang zum Hellfeld, also zu angeklagten oder verurteilten Sexualstraftätern, und das ist natürlich eine Selektion. Aber man kann Risikofaktoren messen. Das sind zum Beispiel Wahrnehmungsverzerrungen, die die Betroffenen haben. Wenn zum Beispiel ein pädophiler Lehrer den Eindruck bekommt, ein Schüler wäre an einer besonderen Beziehung zu ihm interessiert, etwa weil er ihn immer wieder mal in den Schulpausen anspricht und um Rat fragt. Hier muss der Betreffende lernen zu erkennen, wie er in diese Wahrnehmungsverzerrung hineingerät und sich frühzeitig selber zu korrigieren. Die Opferempathie ist ebenfalls ein wichtiger Punkt: Die Betroffenen müssen dafür sensibilisiert werden, wie es dem Kind in Wirklichkeit geht, was es wirklich braucht. Und was es eben nicht braucht.

Sollte man nicht meinen, dass die Einsicht in das, was man da als Pädophiler anrichten könnte, auch ohne Therapie zu haben sein sollte?

Ich bin sicher, dass es eine Gruppe von Menschen mit Pädophilie gibt, die ein so hohes Verantwortungsgefühl und so starke Gewissenskräfte haben, dass sie keine therapeutische Hilfe brauchen, um verhaltensabstinent zu leben. Allerdings, und da bin ich auch sicher, ist das oftmals mit einer erheblichen Belastung durch psychische Probleme verknüpft, meist sind es Symptome von Depression und Angst. Das Projekt selbst, aber auch die Nachuntersuchungen zeigen, dass es für die Betroffenen eine Richtung gibt, die sie einschlagen können und die zu einem lebenswerten Leben führt, sie also von diesen Symptomen entlastet. Sie haben dann nicht mehr das Gefühl, von ihren Phantasien dominiert zu werden, sondern diese eingrenzen zu können. Es ist ja nicht verboten zu masturbieren, auch zu Phantasien, egal, wie sie sein mögen. Aber dieses Gefühl: Ich kann das managen, ich bin dem nicht ausgeliefert, ich habe da Möglichkeiten gegenzusteuern - das stärkt die Betroffenen. Wenn sie diese Möglichkeit dagegen nicht fühlen - und das ist eine weitere Gruppe im Dunkelfeld - dann kann sie eine Begegnung mit einem Kind unvorbereitet treffen, eben weil sie sich nicht damit auseinandergesetzt haben.

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