Nizaqete Bislimi

Nizaqete Bislimi

„Die Genfer Konvention kennt keine Wirtschaftsflüchtlinge.“

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  • Sebastian Mölleken
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Zur Person

22.09.2015, Essen. Nizaqete Bislimi empfängt uns in genau der Kanzlei, die sie das erste Mal vor 22 Jahren als Flüchtlingskind betrat. Inspiriert von Anwalt Eberhard Haberkern, der all die seltsamen Schreiben der Behörden verstand, nahm sie sich vor, eines Tages ebenfalls die Paragrafen begreifen zu können. Heute steht ihr Name auf der Plexiglastafel. In Notunterkünften imaginierte sie sich das bessere Leben, das sie heute als Anwältin für Ausländerrecht und Asylrecht führt. Eigentlich hat Bislimi nur wenig Zeit, da am Abend noch letzte Vorbereitungen für eine Verhandlung zu bearbeiten sind. Tagsüber ist sie lediglich zum Verzehr eines halben Müsliriegels gekommen. Aus der knapp bemessenen Zeit werden zwei freiwillige Überstunden für unser Gespräch. Schließlich gibt es gerade in Zeiten der „Flüchtlingskrise“ viel zu erklären.

Frau Bislimi, die Autobiografie über Ihren Werdegang vom Flüchtlingsmädchen zur Anwältin heißt „Durch die Wand“. Aus welchen Ziegeln bestand die Wand, die Ihnen während all der Jahre im Weg stand?

Nizaqete Bislimi: Es ging schon damit los, dass uns damals als Flüchtlingen vom Westbalkan deutlich vermittelt wurde, dass wir sowieso ganz schnell wieder abgeschoben würden. Das entmutigte uns, und wir waren kurz davor, zurückzukehren, als wir dann doch den Antrag stellten. Mein Vorhaben, als lediglich Geduldete Jura zu studieren, hielten die Behörden trotz guter Noten ebenfalls für unmöglich. Ich fuhr dann auf eigene Faust zur Ruhr-Universität in Bochum, und die Menschen dort sagten: „Klar machen wir das. Für uns zählt nur Ihr deutsches Abitur.“ Die Wand zwischen uns als Schutzsuchenden und der Gesellschaft, die uns aufgenommen hat, wurde damals schon durch ein Willkommensfest und das deutsche Ehepaar Margrit und Jens durchbrochen, die im Buch eine wichtige Rolle spielen und zu echten Freunden wurden. Ohnehin waren es immer die Menschen, die uns wirklich kennenlernten, die uns halfen. Meine Schwester zum Beispiel hätte ihre Arbeitserlaubnis ohne die Hartnäckigkeit ihrer deutschen Arbeitgeberin niemals bekommen.

Darf man nach der Lektüre Ihres Buches sagen: In den Ämtern sitzen die Verhinderer, in der Privatgesellschaft die Ermöglicher?

Die Menschen auf der Behördenseite haben naturgemäß eher die Fälle gesehen und weniger die Menschen, die dahinterstecken. Trotzdem muss ich sagen, dass wir auch von den Behörden Unterstützung erhielten. Sie hätten uns schließlich jederzeit einfach packen und abschieben können. Das immer wieder verlängerte Dulden ist auch eine Form von Ermöglichung, aber eine äußerst schwierige, weil dieses Dulden die Integration erheblich erschwert und viel zu oft eben verunmöglicht. Das ist der wichtigste Zweck des Buches. Es soll exemplarisch zeigen, wie schwierig es ist, sich zu integrieren. Wobei man sich fragen kann, was Integration überhaupt bedeutet.

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