Moritz Bleibtreu

Moritz Bleibtreu

„Es muss die Bösen geben, damit die Guten die Guten sein können.“

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  • Christoph Michaelis
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Zur Person

29.08.2016, Berlin. Das SOHO-Haus in Berlin hat eine bewegte Geschichte. Im Dritten Reich diente das ehemalige jüdische Kaufhaus der Reichsjugendführung als Hauptquartier. In der DDR war es Sitz des Zentralkomitees der SED. Die gute Aussicht über die Stadt mit Blick auf den Alexanderplatz haben in der Vergangenheit folglich viele Schurken genossen. Heute schlagen im Saal mit den knorrigen Dielen Medienvertreter ihr Lager auf. Moritz Bleibtreu, der schon etliche Arten von Schurken gespielt hat, spricht über die Ambivalenz des Bösen, die Prägungen des Menschen und den gewinnbaren Kampf darum, das Richtige zu tun.

Herr Bleibtreu, zu Beginn eine ungeplante Einstiegsfrage aufgrund einer Beobachtung auf der Anreise, bei der ein Mann das gesamte Bordrestaurant vier Stunden lang ohne Pause mit seiner Meinung zu jedem denkbaren Thema beglückte. Kennen Sie sowas?

(schmunzelt) Es ist ja gut, zu vielen Dingen eine Einstellung zu haben, aber die Frage ist, inwieweit es ratsam ist, die bei jeder Gelegenheit herauszuposaunen. In der Welt geistert eine Menge Halbwissen herum, und es ist wichtiger denn je, sich ein eigenes Bild zu machen. Gleichzeitig sollte man vorsichtig sein, eine Meinung zu äußern, wenn man sich nicht ziemlich sicher auf der richtigen Spur wähnt. Wir leben in einer besonderen Zeit: Auf der einen Seite wissen wir so wenig wie noch nie, auf der anderen Seite haben wir so viele Möglichkeiten der Informationsfindung wie nie zuvor. Dieser Widerspruch ist gefährlich, vor allem in Verbindung mit den sozialen Medien. Wahnsinnig viel von der Angst, die die Menschen derzeit umtreibt, ist sozialen Netzwerken geschuldet.

Das Internet ermöglicht erstmals in der Geschichte einen Austausch von Menschen an allen etablierten Institutionen und Meinungsmachern vorbei, nicht selten setzt es Themen selbst. Ist das nur negativ?

In erster Linie ist die Idee, dass soziale Netzwerke ein Kommunikationsmedium sind, ein großes Missverständnis. Das sind sie nämlich nicht. Soziale Netzwerke sind ein Publikationsmedium – das ist ein riesiger Unterschied. Aus meiner Sicht sollte man sich hüten, im Netz an Diskussionen teilzunehmen, vor allem wenn es um Themen geht, die eh schon völlig irrational diskutiert werden. Die aktuelle Debatte über Flüchtlinge ist da sicherlich ein gutes Beispiel. Die Einführungsfloskel der meisten Leute, die bei Facebook- Diskussionen mitmachen, lautet: „Es wird sowieso schon viel zu viel darüber geredet, aber...“ Sie sagen es, um danach ihren Senf dazu abzugeben. Sowas vermeide ich tunlichst. Ich bin zwar auch in dort aktiv, für mich als Schauspieler ist das ein Marketing-Instrument, aber ich sehe das nur als eine Art Spiel, sowas wie „Mensch, ärgere dich nicht“. Nichts davon ist wahr. Wenn ich ab morgen keinen Facebook-Zugriff mehr hätte, würde ich einmal lachen – und das war’s dann auch. Kennen Sie die Situation, wenn sich unter einem Hashtag Leute zu einer Veranstaltung treffen, die vermeintlich dasselbe wollen und dann entsetzt feststellen, wie verschieden sie eigentlich sind? Das ist ein gutes Beispiel für den Unterschied zwischen Publikation und Kommunikation: Würden die Menschen wirklich miteinander kommunizieren, hätten sie viel schneller bemerkt, dass sie nichts gemeinsam haben.

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