Michael Schmidt-Salomon

Michael Schmidt-Salomon

„Die Stärke unserer offenen Gesellschaft ist die Bildung“

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  • Marina Weigl
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Zur Person

Köln, 22.12.2016. Am Abend hat Michael Schmidt-Salomon einen Termin beim WDR, den Nachmittag verbringt er beim Interview in einem Café im Belgischen Viertel. Der Philosoph hat sich als Religionskritiker und Vertreter des evolutionären Humanismus einen Namen gemacht. Schmidt-Salomon plädiert für eine säkulare Vernunft, die in Gefahr ist – nicht durch den politischen Islam, sondern auch durch die Gegenreaktion: Für ihn sind der Wahlsieg von Trump und die Stärke der AfD Indizien dafür, dass der christliche Fundamentalismus an Boden gewinnt. Und im Gespräch macht er keinen Hehl daraus, dass er diese Entwicklung für einen dramatischen Rückschritt hält.

Herr Schmidt-Salomon, Sie kritisieren Religion und Kirche, wo Sie nur können. Gab es dafür einen Auslöser in Ihrer Biografie?

Keinen direkten, ich habe keine negativen Erfahrungen mit einem Katholiken gemacht und im kirchlichen Umfeld sogar viele Menschen kennengelernt. Aufgewachsen bin ich in einem sehr liberalen katholischen Elternhaus. Zur Zeit meiner Kommunion habe ich noch an Gott geglaubt, daran kann ich mich erinnern. Heiland, Hölle, Himmel – das habe ich mir schon alles so vorgestellt. Die Erstkommunion erzeugte bei mir dann eine merkwürdige Mischung aus Erhabenheit und Ekel: Ich habe mir damals schon vorgestellt, den Leib eines vor 2000 Jahren gestorbenen Mannes auf der Zunge zu haben. (lacht) Mit 15 oder 16 habe ich dann angefangen, viele wissenschaftliche Bücher zu lesen. Im Zuge dessen verlor die Religion an Plausibilität. Was mir der Glaube an einen Gott abverlangte, stimmte einfach überhaupt nicht mehr mit dem überein, was ich über die Welt erfahren habe.

Das erklärt die Distanz. Nicht aber die Kritik.

Anfang der Neunzigerjahre war ich mit Robert Jungk befreundet, einem der ersten Zukunftsforscher in Deutschland. In den Gesprächen mit ihm wurde mir an einem gewissen Punkt klar, dass bei vielen Zukunftsszenarien nicht die Technologie das Problem darstellt, sondern die Unfähigkeit des Menschen, diese zu beherrschen. Kurz: Wir besitzen die Technik des 21. Jahrhunderts, in unseren Köpfen existieren jedoch weiterhin sehr alte und niemals reflektierte Vorurteile. Es herrscht also eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: das Smartphone in der Hand und die Bronzezeit im Kopf. Und das ist ein großes Problem, weil wir uns in der komplexen Welt immer schwerer damit tun, Entscheidungen zu treffen.

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