Kamasi Washington

Kamasi Washington

„Guter Jazz ist immer zugleich neu und historisch.“

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  • Matthias Oertel
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Zur Person

26. März 2018, Hamburg. Kamasi Washington sieht eigenwillig aus, ruht dabei aber ganz in sich selbst. Der Jazzmusiker sitzt in einer quietschbunten Tunika in der Sofagruppe seines Hotelzimmers, neben ihm ein edler Gehstock, über den noch zu sprechen sein wird. Im Gespräch wirkt er so besonnen wie ein Altstar seines Genres. Dabei ist er erst 37, gilt als derzeit aufregendster Erneuerer des Jazz, der dieser Musik eine ganz neue Relevanz verleiht. Im Interview geht Kamasi Washington auf einen gewagten Vergleich zu Mozart ein, liefert eine theoretische Betrachtung des Jazz oder schildert seine Kindheit zwischen hartem Gangsta-HipHop und lebendiger Jazz-Kultur.

Mr. Washington, als Kind hatte ich einen wiederkehrenden Tagtraum: Mozart landet mit einer Zeitmaschine im Garten und ich bin derjenige, der ihm zeigen und erklären muss, was seit seinem Ableben die Menschheit bereichert hat. Als ich Ihr neues Album hörte, musste ich häufiger an diesen Traum denken. Deshalb die Frage: Wie würden Sie Mozart den Jazz erklären?

Zunächst freut es mich, dass Sie bei meiner Musik an Mozart denken. Dieser Vergleich überrascht mich nicht, denn es gibt Dinge, die uns eint: die Spontaneität der Komposition oder das Bewahren einer Ursprünglichkeit. So, wie ich ihn verstehe, war Mozart jemand, der sich einfach hinsetzt und aus dem Moment ein großes Stück Musik kreiert. Das ist auch mein Ziel. Würde er also plötzlich in meinem Garten auftauchen, würde ich zu ihm sagen: „Wolfang Amadeus, die Zutaten, Harmonieverläufe und Rhythmus-Strukturen haben sich seit deiner Zeit verändert, aber der ursprüngliche Ansatz an die Komposition ist dem deinen nicht unähnlich.“ Von dort käme ich dann auf die Geschichte des Jazz. Ich würde ihm erzählen, dass es sich um die Musik handelt, die die Sklaven Nordamerikas für sich erfunden haben, um eine Kunstform zu generieren, die ursprünglich einzig für sie bestimmt war. Ich würde ihm beschreiben, wie diese Sklaven über mehrere Hundert Jahre bemüht waren, Kulturformen zu etablieren, die ihre ganz besondere Form von intellektuellen Auseinandersetzung widerspiegeln – und dass Jazz letztlich die Musikform ist, die sich dabei herausgebildet hat. Weil sie immer wieder auf neuen Wegen nach einer hohen Intellektualität sucht, dabei aber einen sehr intuitiven Zugang bietet.

Also eine Musik zugleich für den Kopf und den Bauch.

Genau. Wenn Mozart dann noch mehr erfahren will, würde ich den Jazz zu anderen Musikgenres ins Verhältnis setzen, die ebenfalls von nordamerikanischen Sklaven initiiert wurden: Blues oder Gospel. An ihren Unterschiedlichkeiten könnte ich dann deutlich machen, wie sehr Jazz eben auf dieses gleichzeitig intuitiv-intellektuelle Konzept aufgebaut ist. Ich denke, über das Herausarbeiten dieser kulturellen Signifikanz würde er dann schon verstehen, was Jazz ist.

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