Günter Wallraff
„Sisyphos war immer mein Leitmotiv.“
Zur Person
Günter Wallraff wurde am 01.10.1942 in Burscheid geboren. Nach einer Buchhändlerlehre arbeitete er in diversen Betrieben wie Thyssen oder Ford und sammelte dort Material für seine ersten Industriereportagen. Er spezialisierte sich auf Undercover-Einsätze, gab sich als Waffenhändler aus und schmuggelte sich unter dem Pseudonym Hans Esser in die Redaktion der Bild-Zeitung. In Schweden wurde das Verb „wallraffa“ als Synonym für „verdeckt journalistisch arbeiten“ in den Sprachgebrauch übernommen. Nach längerer Pause machte Wallraff 2007 wieder von sich reden, als er für das Magazin Zeit Leben die Arbeitsmethoden in deutschen Call-Centern recherchierte. 2012 machte der Autor aufgrund eines Betrugsvorwurfs seitens eines ehemaligen Mitarbeiters Schlagzeilen. Wallraff ist zum dritten Mal verheiratet und lebt in Köln.
04.08.2007, Köln. Günter Wallraff empfängt den Besuch auf seiner Terrasse im ersten Stock. Die Sonne strahlt, der Blick in den idyllischen Hinterhof fällt auf erstaunlich viel Grün. „Ich muss nicht in die Toskana“, sagt Wallraff. „Ich habe hier meine Oase.“
Herr Wallraff, Albert Camus sagte einmal: „Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.“ Inwieweit können Sie sich damit identifizieren?
Günter Wallraff: Sisyphos war immer mein Leitmotiv – mit hartem t aber auch mit weichem d. Das ist eine Lebenshaltung, ein Prinzip. Sicher wird man zwischendurch von dem Brocken fast erschlagen, und es ist tatsächlich sehr mühselig. Sisyphos hat zum Beispiel nie das Glücksgefühl des Gipfelstürmers erlebt, der einen Berg erklimmt; der Stein rollte ja immer kurz vor dem Gipfel wieder runter. Das ist mir sehr vertraut, denn das Gefühl, angekommen zu sein, habe ich auch noch nicht erlebt. Ich bin immer unterwegs. Wer suchet, der findet, und wer findet, der sucht nicht mehr.
Verzweifeln Sie oft an dem Brocken, den Sie schleppen?
Nachts liege ich manchmal wach und fühle mich total überfordert. Das alles ist nicht mehr zu bewältigen, du hast dir zu viel aufgehalst – so denke ich dann. Aber irgendwann schlafe ich wieder ein, und wenn ich dann um acht Uhr wach werde, ist das vorbei. Dann bin ich schon wieder gefordert und mitten im Geschehen. Die Post kommt, und die Hälfte der Briefe stammt von nach Hilfe suchenden Menschen, die sich mir anvertrauen und ihre Schicksale mitteilen. Die Gedanken aus der Nacht sind dann schon ganz weit weggerückt. Ich lasse sie nicht zu und stelle mich dem, was anfällt.