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Götz Alsmann

„Wer mehr kann, macht sich verdächtig.“

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  • Bill Douthart
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23.10.2014, Münster. Götz Alsmann lädt in den „Zwei Löwen Klub“. Da denkt man an Zigarrenrauch und große Cognacgläser. Stattdessen verfügt das Etablissement über eine recht rustikale westfälische Kneipenatmosphäre. Das Klubmitglied Götz Alsmann kommt aus einer Rotarier-Sitzung, im Foyer stehen große graue Männer und reden über den Lauf der Dinge. Alsmann, natürlich in Anzug und mit Einstecktuch, bestellt sich Kaffee gegen die Müdigkeit und Wasser gegen den Husten. Der muss sofort verschwinden: Bald beginnt die Tour zum neuen Album „Am Broadway“. Für die Aufnahmen war der 57-Jährige tatsächlich in New York, jedoch war vom Broadway, wie er ihn kannte, nicht mehr viel übrig. Das Gespräch über Orte, die nicht halten, was sie versprechen, und komische TV-Auftritte von früher endet mit dem Versprechen, eine vergessene Musikform wiederzubeleben.

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Herr Alsmann, Sie kommen gerade aus einer Rotarier-Sitzung. Was genau passiert da eigentlich?

Götz Alsmann: Es gibt in Münster fünf Rotary Clubs, wobei wir der Künstler-Club sind mit vielen Theaterleuten, Musikern und Verlegern. Heute war der Schriftsteller Burkhard Spinnen zu Gast und hat sein neues Buch vorgestellt.

Lokale Verschwörungstheoretiker mutmaßen ja gerne, in Clubs dieser Art würden die wahren Strippen gezogen.

(grinst) Auf gar keinen Fall. Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.

Nun sind Sie hier in Münster ja längst nicht nur Künstler, sondern auch Wissenschaftler: ein Honorarprofessor der Uni sogar.

Es ist ein Ehrenamt. Es heißt zwar Honorarprofessor, aber der Titel führt in die Irre, weil ich dafür kein Honorar erhalte. Man macht das für die Ehre.

Und hoffentlich auch für die Wissenschaft.

Na klar! Diese Art von Professur wurde ins Leben gerufen, um Profis, die nicht Teil des akademischen Lebens sind, den Zugang zu den Universitäten zu ermöglichen, damit sie den Studenten etwas von ihrer Berufserfahrung mitgeben. Ich halte an der Uni pro Semester drei bis vier Vorlesungen, dazu kommt noch noch eine Masterclass „Chanson“.

Sind die Hörsäle voll?

Ja, aber es sind auch viele ältere Herrschaften anwesend, die über ein bisschen mehr Tagesfreizeit verfügen.

Nach Ihrer Antrittsvorlesung im Jahr 2012 wurde einige Kritik laut. Zu unterhaltsam sei es gewesen. Darf Wissenschaft in Deutschland nicht unterhaltsam sein?

Natürlich darf sie das, wobei es in diesem Fall so war, dass vielleicht einige Kulturjournalisten ihren Münster-Hass an mir abgearbeitet haben.

Münster-Hass? Ich dachte, Münster wird von allen geliebt – schauen Sie sich alleine die Einschaltquoten des Tatorts an!

Münster wird geliebt – aber eben nicht von allen.

„Paris ist und bleibt, wie es ist: ein Klischee-Paris. Am Broadway ist das sehr schwierig. Der Ort, wie wir ihn uns vorstellen, existiert nicht mehr.“

Von Münster nach New York, zum Broadway. War diese Meile für Sie früher ein Sehnsuchtsort?

Durchaus, ja. Ich war 1980 zum ersten Mal in New York, mit Anfang 20. Ich begab mich damals auf die Suche nach den Spuren der großen amerikanischen Musiker. Ich war in den Südstaaten, in Philadelphia, Los Angeles – und natürlich auch in New York, am Broadway. Das war noch vor der ganz großen Zeit von Andrew Lloyd Webber. Es gab zwar schon „Hair“ und sogar „Jesus Christ Superstar“, aber alles andere noch nicht. Die erfolgreichste Show damals war ein Musical mit Twiggy, dem Model der 60er-Jahre, das auch ganz gut singen kann. Gespielt wurden damals aber noch andere Musicals mit weniger Rockmusik, eher noch im Stil von „Hello Dolly“. Und damals sah der Broadway auch noch so aus, wie man sich den Broadway als Ort der Sehnsucht vorstellt.

Nun sind Sie mehr als 30 Jahre später zurückgekehrt. Was hat sich verändert?

Wir haben für das Broadway-Album ein gezeichnetes Cover verwendet. Ich denke, das sagt schon alles. Bei unserem Paris-Album hatten wir keine Probleme, für Fotos Orte zu finden, an denen es aussieht, wie man sich das alte Paris vorstellt. Paris ist und bleibt, wie es ist: ein Klischee-Paris. Am Broadway war das sehr schwierig. Der Ort, wie wir ihn uns vorstellen, existiert nicht mehr. Natürlich, es gibt noch Theater, gerade auch Off-Broadway-Bühnen. Aber es gibt kaum noch klassische Theater-Werbung, die das Straßenbild bestimmt. Die Theater haben ihre typischen Markisen nicht mehr. Man findet keine Hinterhöfe mehr, wo die Showgirls in der Pause an der Rampe rauchen. Kurz: Das optische Flair ist weg. Deshalb haben wir ein Cover zeichnen lassen.

Haben Sie da ein weinendes Auge?

Da weinen sogar beide Augen. Immerhin: Das Studio, in dem wir gearbeitet haben, benutzt noch die alten analogen Gerätschaften. Vor uns war Yoko Ono da. Nach uns kam Paul Simon.

Keine schlechte Gesellschaft.

Im oberen von zwei Studios wurde eine Old-Time-Dixie-Jazz-Platte mit den Hot Sardines abgemischt. Junge New Yorker, die sogar einen hauptamtlichen Stepptänzer in ihren Reihen haben. Sehr interessant. Ich bin dann natürlich mal raufgegangen und habe mir das angehört. Das Studio ist ein guter Ort für alles, was man heute wohl handgemachte Musik nennt.

Warum nicht für moderne Produktionen?

Dafür sind diese Studios viel zu teuer. Moderne Popmusik entsteht ja häufig inhaltlich erst im Studio. Dort werden die Songs geschrieben, dann werden die Computer programmiert. Das alles kostet viel Zeit und findet im Prinzip in einem Technik-Raum statt. Dafür muss nicht ein klassisches großes Studio blockiert werden, das sich über eine gesamte Etage zieht. Wir haben uns dort jedoch sehr wohl gefühlt.

Wenn vom Broadway nicht mehr viel übrig ist: Hätten Sie das Album dann auch in Köln, Münster oder Berlin aufnehmen können?

Sie dürfen nicht vergessen, dass zu einem Studio auch ein Team gehört. Die Leute dort wissen, wie es geht. Sie haben ihre Klangvorstellungen, und das Studio hat seine eingefahrenen Wege. Für mich und meine Band ergab sich daher in New York eine Art klösterliche Gemeinschaft. Morgens um zehn starteten wir, abends ging es bis neun, halb zehn. Und als die Band nach sechs Tagen fertig war und ich noch ein paar Tage für den Gesang und das Akkordeon ran musste, kamen mich meine Musiker nach ihrem Ferientag in New York gegen Abend mit einer Flasche Rosé besuchen. Kurzum: Es war auszuhalten.

„Nashville, 1980: Dort war es authentisch. Die Männer und Frauen, die damals dort in den Kneipen saßen und Countrymusik hörten – das war das echte Publikum und keine Touristen, die sich mit Cowboyhut fotografieren ließen.“

Noch einmal zurück zu Sehnsuchtsorten: Davon gibt es ja viele auf der Welt, zum Beispiel die Copacabana in Rio, die Carnaby Street in London. Stimmen Sie zu, dass kaum einer dieser Orte hält, was er verspricht?

Ja, es ist überall gleich schrecklich. (lacht) Aber im Ernst, ich bin tatsächlich häufig enttäuscht. Einige meiner Sehnsuchtsorte, meine persönlichen Shangri-Las, behalte ich daher lieber im meinem Kopf, als sie der Wirklichkeit zu stellen. Ich habe zum Beispiel ein lebenslanges Interesse für die Völkerkunde Zentralasiens. Viele meiner Freunde sagen mir: „Dann fahr’ halt mal mit der Transsibirischen Eisenbahn und schaue dir das alles an.“ Aber man sieht dann von den Waggons aus wohl nicht mehr die malerischen alten Pelztierjäger in ihren traditionellen Trachten, sondern Männer in schlecht gefälschten Adidas-Jacken. Da kommt die echte Marco-Polo-Stimmung nicht mehr auf. Es ist schade. Es gibt heute eine Menge anderer Dinge zu entdecken – die Magie dieser alten Orte jedoch häufig nicht mehr. Aber es gibt auch Plätze, die in ihrem Untergang etwas Pittoreskes erhalten.

Zum Beispiel?

Nashville. Jahrzehntelang die glorreiche Hauptstadt der amerikanischen Countrymusik. Auch dort machte ich 1980 Station. Die Stadt war fertig. Durch. Alles war im Eimer: die Lokale, die Bars, die Music Halls. Aber ich habe es geliebt. Heute ist die Stadt ordentlich saniert. Ich habe später das aufgemotzte Opryland besucht, die selbsternannte „Heimat der amerikanischen Musik“: ein scheußlicher Ort, eine Art Phantasialand mit Musik. Da fand ich das abgewirtschaftete Nashville deutlich besser. Die Leute sind ja heute immer auf der Suche nach Authentizität. Nashville, 1980: Dort war es authentisch. Die Männer und Frauen, die damals dort in den Kneipen saßen und Countrymusik hörten – das war das echte Publikum. Da saßen keine Touristen aus aller Welt, die sich mit Cowboyhut fotografieren lassen.

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