Freunde fürs Leben

Februar 2018 / Seite 3 von 3

Hier sind diese Medien dann also tatsächlich noch: sozial.

Genau, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Ich musste auch erst lernen, wie man beispielsweise über eine Plattform wie Instagram aufklärt. Das haben mir dann unsere Praktikanten erklärt, die eine viel höhere Affinität zu diesen sozialen Kanälen haben als ich. Und ich finde es genial! Meine Eltern haben damals auch gesagt, dass man vom Telefonieren blöd wird, wenn ich als Jugendliche in Berlin stundenlang mit Freunden telefoniert habe. Hat ja damals nüscht gekostet in West-Berlin – ein Telefonat 23 Pfennig, egal wie lang. Heute denkt man so eben über andere Medien. Ich frage meinen Sohn auch, warum er stundenlang auf WhatsApp rumhängt, aber das ist eben seine Art, mit seinen Freunden zu kommunizieren. Eigentlich geht es darum, eine Verbundenheit zu schaffen und jede Generation tut das auf ihre Weise.

Andererseits kann man bei Ihnen ein T-Shirt kaufen, das das Prinzip „Digital Detox“ anpreist, also eine Abstinenz von digitalen Medien. Wie passt das zusammen?

Wir möchten niemandem etwas vorschreiben, wir wollen nicht klingen wie die Eltern. Es geht darum, Anregungen zu geben, auch mal offline etwas zu machen, einen Spaziergang etwa oder sich mit Freunden zu treffen. Uns ist wichtig, dass unsere Inhalte wertvoll sind. Wir haben Inhalte zum Thema Resilienz, Buchtipps, Musiktipps – aber wir würden zum Beispiel nicht einfach nur ein Foto ohne Beschreibung posten, nur um überhaupt etwas zu posten. Das ist mir sehr wichtig. Es geht immer darum, was man vermitteln möchte, welchen Bezug man zu jenem Video oder diesem Song als Verein hat.

Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob es sinnvoll ist, Spaziergänge oder Schaumbäder als Mittel gegen Depressionen anzuführen – oder ob diese Anregungen diese Krankheit nicht verharmlosen. Wie sehen Sie das?

Ein Bad hilft natürlich nicht gegen Depressionen, das schreiben wir auch nicht, aber es kann helfen, um sich selbst Gutes zu tun. Ich spreche lieber über seelische Gesundheit als über Depressionen, weil Depressionen nur eine von vielen seelischen Erkrankungen sind. Es gibt Bulimie, es gibt Panikattacken, es gibt Borderline, es gibt so viel. Es geht immer darum, wie man es schafft, seelisch gesund zu bleiben.

„Es gibt bei den Themen Depressionen und Suizid eine Hemmschwelle. Und die muss weg.“

Sollte man diese seelische Gesundheit regelmäßig checken, so wie man zweimal im Jahr zum Zahnarzt geht?

Ja, ich würde mir wünschen, dass Menschen regelmäßig in sich hineinhorchen und sich etwas Gutes tun. Wenn sie merken, dass das Bad, der Spaziergang oder das Gespräch mit der Freundin irgendwann nichts mehr bringen, dann trauen sie sich im besten Fall, professionelle Hilfe zu ersuchen. Das ist ja kein einfacher Schritt, aber wenn der ganze Freundeskreis darin geschult ist, aufeinander zu achten, dann fällt er leichter. Das Leben ist halt sehr stressig, da ist es wichtig, auf sich zu achten.

Wobei Depressionen ja auch nicht zwangsläufig mit äußeren Umständen zusammenhängen.

Das mag sein. Da ich weder Therapeutin noch Wissenschaftlerin bin, kann ich hier nur das weitergeben, was ich im Laufe meiner Vereinsarbeit gelernt habe. Seelische Erkrankungen können nicht von einer auf die andere Generation übertragen werden. Wenn ich jedoch in einer Familie aufwachse, in der seelische Erkrankungen vorhanden sind, dann besteht die Prädisposition für die Entwicklung einer solchen. Es gibt auch nicht die eine Ursache. Risikofaktoren für psychische Probleme, Störungen oder Erkrankungen könnten bei Jugendlichen z.B. die Trennung oder Scheidung der Eltern sein, Alkohol- und Drogenkonsum in der Familie, sexueller Missbrauch, all sowas…

Was gibt es neben familiären Problemen noch für Risikofaktoren für Jugendliche?

Drogen zum Beispiel können bestimmte Zustände verstärken. Es wäre zwar utopisch zu glauben, dass Jugendliche weder Alkohol noch das Kiffen ausprobieren, doch wenn man ihnen in ihrer Sprache erklärt, wie es ihnen schaden kann, solange sie im Wachstum sind und dass man auf Drogen auch hängen bleiben kann, dann verstehen sie es meist auch. Gras ist doch heute so überzüchtet und wird oft mit anderen Substanzen gestreckt, dass man oft gar nicht wissen kann, was man da eigentlich zu sich nimmt. Wenn man dann labil ist und merkt, dass es einem nicht so gut geht, dann ist das eher kein guter Zeitpunkt, mit Drogen herumzuprobieren, das gilt so auch für Alkohol. Auch in diesem Fall sind Lehrer oft geschockt, wenn wir beginnen, über diese Themen zu reden. Wenn sie dann merken, dass es funktioniert, lassen sie uns aber.

Ihr Rezept ist also: nichts verschweigen.

Ich muss Ahnung von dem haben, worüber ich spreche. Ich spreche angstfrei und klar über Themen, die in unserer Gesellschaft vielleicht noch ein Tabu sind, mit denen wir aber alle auf die eine oder andere Art und Weise zu tun haben. Jugendliche und junge Erwachsene merken extrem schnell, ob man authentisch ist oder nicht. Und ich interessiere mich wirklich für ihre Welt. Nur so findet man einen geeigneten Zugang.

Sie haben schon angedeutet, welche große Rolle Popkultur spielen kann, wenn man mit Jugendlichen ins Gespräch kommen will. Zuletzt hat die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ das Thema Suizid auf kontroverse Art behandelt, unter anderem wegen einer Szene, in der sich die Protagonistin sehr dramatisch das Leben nimmt. Die Serie glorifiziere Depressionen, sagen einige Kritiker. Haben Sie Ihren Sohn das anschauen lassen?

Ja, mein Sohn hat die Serie auch gesehen und ich hätte sie gern mit ihm zusammen geschaut, da mir manche Szenen in der Serie zu detailliert und zu krass dargestellt wurden.

Wie ist denn Ihre persönliche Meinung zu der Serie?

Grundsätzlich finde ich es erst einmal gut, wenn es eine öffentliche Auseinandersetzung mit Suizid und Depression gibt. Ich glaube, dass „Tote Mädchen lügen nicht“ eine Strategie der Suizidprävention verfolgt, die sich vordergründig an Freunde und Eltern von Betroffenen richtet. Durch die detaillierte Darstellung von Hannahs traumatischen Erfahrungen sowie ihres Suizids sollen seelisch unbelastete Menschen ihr Leiden und ihre Gefühlswelt besser nachempfinden und verstehen können. So wird dem Zuschauer die Dringlichkeit des Themas und seine eigene Verantwortung im Hinblick auf sein Verhalten gegenüber Mitmenschen und deren Seelenzustand bewusst. Auf der anderen Seite besteht bei dieser Strategie allerdings tatsächlich die Gefahr, dass sich Zuschauer mit Depressionen oder akuten Suizidgedanken mit der Hauptfigur Hannah identifizieren und die scheinbare Ausweglosigkeit ihrer Geschichte auf ihren eigenen Leidensweg projizieren. Ich bin mir dieser Gefahr bewusst und die berechtigten Warnungen von Psychologen weltweit beziehen sich vor allem auf die gefährlichen Folgen für jugendliche Zuschauer mit seelischen Erkrankungen. Es handelt sich dabei um den sogenannten “Werther-Effekt”, der besagt, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Anzahl an Suiziden und der Behandlung des Themas in den Medien gibt. Gleichzeitig lassen sich aus der Serie aber eben auch positive Erkenntnisse für eine erfolgreiche und gefahrlose Suizidprävention ableiten. Dabei gilt es vor allem, eine gegenteilige Wirkung zu entfalten: den sogenannten “Papageno-Effekt”. Demnach sinkt die allgemeine Suizidrate nachweislich, wenn in den Medien über Menschen berichtet wird, die Krisensituationen konstruktiv und ohne vollendeten Suizid bewältigten. Der Schwerpunkt einer effektiven Aufklärungsarbeit muss also darauf liegen, den Betroffenen Hoffnung zu machen und ihnen klar zu zeigen, dass Depressionen behandelbar sind und Suizidgedanken mit professioneller Hilfe überwunden werden können. Es reicht nicht, die Problematik darzustellen – positive Botschaften müssen her!

Wie haben Sie das denn bei Ihrem Sohn erlebt?

In seiner Klasse haben alle diese Serie geguckt, das kann etwas Verbindendes haben. Statt immer nur die Versäumnisse in Bezug auf „Tote Mädchen lügen nicht“ zu beklagen, sollten wir endlich damit beginnen, mit den Jugendlichen über die Serie und das Gesehene zu sprechen. Meinem Sohn habe ich zum Beispiel gesagt, wie krass ich die Suizid-Szene fand und bin darüber mit ihm ins Gespräch gekommen. Es ist wichtig, herauszufinden, wie es Jugendlichen damit geht, damit sie diese Eindrücke nicht alleine mit sich herumtragen. Tabuthemen wie Suizid und Depression ansprechen, die Fakten kennen, zuhören und wissen, was zu tun ist. Wie wunderbar wäre es, wenn mehr Menschen in unserer Gesellschaft das alles beherrschen würden.

Zur Person

Diana Doko (46) arbeitet seit 1998 als freie PR-Beraterin, Kommunikationsexpertin und Projektleiterin für Agenturen, Unternehmen und Organisationen. Seit 2009 lehrt sie PR und Marketing an zwei Berliner Hochschulen. Zusammen mit Gerald Schömbs gründete sie 2001 den Verein „Freunde fürs Leben“ und erhielt für ihr soziales Engagement bereits diverse Auszeichnungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Freunde fürs Leben

Ziel des Vereins ist es, durch gezielte Informationsvermittlung über Warnsignale, Hilfsangebote und Therapiemöglichkeiten Suizide zu verhindern. Mit kreativen und jugendlichen Projekten und Kampagnen will der Verein mehr Akzeptanz für die Tabu-Themen Depression und Suizid erzeugen. Neben dem Info-Portal frnd.de mit Fakten, Tipps, Adressen und Selbsttests, gibt es den ersten deutschen Youtube-Kanal zum Thema seelische Gesundheit. In dem Interviewformat „bar-TALK“ auf frnd.tv interviewt Markus Kavka andere Prominente wie Prinz Pi, Clueso oder Wana Limar.

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