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Freunde fürs Leben

„Wir wollen, dass die Menschen frei über seelische Gesundheit sprechen.“

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  • Tom Wagner
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18. Januar 2018, Berlin. Über seelische Gesundheit spricht man oft erst, wenn es zu spät ist. Der Verein “Freunde fürs Leben“ will das ändern. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Gerald Schömbs hat die PR-Beraterin, Journalistin und Dozentin Diana Doko den Verein ins Leben gerufen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Thema Suizid ins öffentliche Bewusstsein zu holen. Ihre Forderung: Seelische Gesundheit muss so selbstverständlich werden wie körperliche – und das Thema gehört endlich auf die politische Agenda.

GALORE

Frau Doko, Sie sagen, Sie werden nach Interviews regelmäßig von Politikern eingeladen. Was wollen die von Ihnen?

Wenn wir als Verein in den Medien auftauchen, erinnern sich die Politiker mal wieder daran, dass wir ja eigentlich doch ganz interessante Arbeit leisten – und dann wollen sie mit uns darüber sprechen. Jedoch ist bisher darüber hinaus noch nichts passiert: Seelische Gesundheit ist bis heute kein Thema auf der gesundheitspolitischen Agenda, dabei wäre es so wichtig, die Bevölkerung darüber aufzuklären. Das Thema in die Öffentlichkeit zu bekommen, ist daher unser Hauptziel. Jährlich sterben rund 10.000 Menschen durch Suizid. Wenn diese Zahlen regelmäßig veröffentlicht würden, dann wäre das Thema viel präsenter. Aber das ist nicht der Fall. Es gibt auch keine Werbekampagne, die kurz erklärt, was man machen und an wen man sich wenden kann, wenn es jemandem im Freundeskreis offensichtlich schlecht geht. Ich merke das ja immer wieder in meinem eigenen Umfeld, da sprechen die Leute dann vom Freund eines Freundes und fragen, ob ich ihnen nicht einen Therapeuten empfehlen könne.

Ist das nicht der richtige Weg?

Nein, ich erkläre dann jedes Mal, dass es so eben nicht funktioniert, sondern dass man erst zum Allgemeinarzt gehen, sich dort eine Überweisung holen sollte und entweder hat der Allgemeinarzt einen Tipp oder man sucht über die Website http://www.psych-info.de einen Therapeuten in seiner Nähe und sieht dann auch gleich, ob dieser über Kasse oder privat abrechnet. Und die ruft man dann an. Es heißt zwar immer, dass man keine Therapeuten findet, aber wenn man diese Schritte kennt, dann findet man meist eben doch einen. Das größte Problem ist also nicht der Versorgungsnotstand, sondern die fehlende Aufklärung? Genau. Alleine in Berlin hat jeder Bezirk einen kostenlosen Krisendienst, der 24 Stunden geöffnet ist und echt gute Therapeuten hat. Da kann man einfach hingehen und reden, und das hilft ja manchmal schon weiter. Auf dem Land mag das anders aussehen, aber mit dem Wissen, dass es eine Website gibt, in die man seine Postleitzahl eingibt und angezeigt bekommt, was es in der Nähe an Therapeuten gibt, wäre den Menschen schon sehr geholfen. Hinzu kommt, dass man sich ja auch online beraten lassen kann. Es gibt Apps wie die Arya App, es gibt Online-Therapien wie auf selfapy.de oder für Geflüchtete auf Arabisch, es gibt so viel. Die Leute, die das entwickeln, melden sich dann oft erst bei uns oder wir entdecken sie online – und veröffentlichen diese Hilfsangebote auf unseren Kanälen. Leider berichten die Medien oft nicht wirklich darüber, weil viele Redakteure zu den Themen seelische Gesundheit und Suizid nicht ausreichend geschult sind. Es gibt bei den Themen Depressionen und Suizid eine Hemmschwelle. Und die muss weg.

Warum sagen Sie Suizid statt Selbstmord?

Worte werden niemanden daran hindern, sich das Leben zu nehmen, aber es geht mir um den Respekt den Toten gegenüber. Mord, das weiß jeder Jurist, geschieht aus Hinterhalt und Niedertracht. Man kann Selbsttötung sagen oder dass sich jemand das Leben genommen hat. Ich stoße oft auf Unverständnis, wenn ich so locker über das Thema spreche, weil viele so gehemmt oder gar nicht darüber reden. Dabei hat genau das mit Respekt zu tun: Ich kann niemandem vorschreiben, was er zu tun oder zu lassen hat, und wenn jemand todkrank ist und sterben will, dann verstehe ich auch seinen letzten Wunsch, in die Schweiz zu fahren und sich dort helfen zu lassen. Worum es geht, ist, darüber zu sprechen und zu zeigen, dass Suizid nicht die Lösung ist.

Sie wünschen sich zur seelischen Gesundheit ähnliche Aufklärungskampagnen wie zu Alkoholsucht oder Sicherheit im Straßenverkehr. Warum werden diese Themen Ihrer Meinung nach eher gefördert?

Das werde ich oft gefragt. Ich kann es ehrlich nicht sagen. Ich denke, dass Tod an sich ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist. Das merkt man schon bei Beerdigungen, bei denen in anderen Ländern laut geweint und gefeiert wird, der Schmerz über den Verlust einer Person wird eher rausgelassen, während es bei uns oft nach einer Beerdigung zum Leichenschmaus geht und keiner über den Toten oder Gefühle redet. Depressionen sind auch ein Tabuthema. Sie werden immer noch nicht als Krankheit gesehen, die man behandeln kann. Wir müssen darin geschult werden, dass wir bei Anzeichen von Depressionen ganz automatisch zum Therapeuten gehen, so wie wir mit gebrochenem Arm zum Orthopäden gehen und mit Blasenentzündung zum Frauenarzt. In Amerika gehört es schon fast zum guten Ton, einen Therapeuten zu haben. Hierzulande bedeutet es, dass man nicht funktioniert – und das ist wie ein Stigma. Dabei funktionieren irgendwann genau die Menschen nicht, die Depressionen lange unbehandelt mit sich herumschleppen, denn diese brechen irgendwann zusammen. Sich gesundheitlich nicht zu pflegen, hält man auf Dauer nicht durch. Ständig unter seelischen Schmerzen zu leiden, ist wie chronische Kopfschmerzen – und bei denen würde man auch nach Ursachen suchen und sich dann schonen oder Tabletten nehmen.

Kopfschmerzen hat jeder schon mal gehabt…

… aber Depressionen kann ja auch jeder bekommen! Das ist es ja gerade, dafür muss sich keiner schämen. Jeder Mensch erlebt Situationen, die ihn überfordern. Vielleicht stirbt ein Elternteil und man hatte nicht die Gelegenheit, sich zu verabschieden. Oder man sieht etwas, das man nicht verarbeiten kann. Ich weiß noch, wie ich als Jugendliche jedes Wochenende demonstrieren gegangen bin, weil ich dachte, wir gehen alle unter: Tschernobyl, Krebs, wir dürfen gar nichts mehr essen. Ich hatte die Demonstrationen als Ventil, aber Freunde von mir haben in dieser Zeit richtige Angststörungen entwickelt. Einige von ihnen haben diese bis ins Erwachsenenalter mit sich herumgeschleppt und erst dann mit einer Therapie begonnen, andere schleppen immer noch so einiges unverarbeitet mit sich herum.

Die Arbeit von „Freunde fürs Leben“ fokussiert sich auf Jugendliche und junge Erwachsene. Ist das ein Alter, in dem Depressionen besonders häufig vorkommen, oder ein Alter, in dem man leichter an die Menschen herankommt?

Die Inspiration zur Vereinsgründung war damals ein Plakat, das ich in der U-Bahn gesehen habe. Es sollte Jugendliche auf das Thema Depressionen aufmerksam machen, hat das aber auf eine sehr esoterische Art gemacht, die niemals funktionieren konnte. Ich dachte damals direkt: Das ist doch eine MTV-Generation. Welcher junge Mensch reagiert auf solch ein Eso-Plakat? Das geht doch besser. Ich komme aus der PR, kannte diese besagte Generation und wusste, dass man da viel angstfreier kommunizieren muss. Eine nationale Aufklärungskampagne zum Thema seelische Gesundheit wäre daher mein Traum. Wir haben die Plakate schon in der Schublade. Man kann es ja besser machen.

„Man sollte nicht das Gefühl haben, jemanden vor den Kopf zu stoßen, nur weil man auf sich selbst achtet. Viele Menschen in helfenden Berufen haben Schwierigkeiten, hier die Balance zu finden.“

Was wird denn falsch gemacht?

Wenn ich sehe, wie beispielsweise an der Schule meines Sohnes über Alkoholsucht gesprochen wird, finde ich das albern. Da wird davon ausgegangen, dass Jugendliche mit 15 Jahren noch überhaupt keine Ahnung haben. Das animiert eher noch dazu, es zu probieren, weil es aus der Sicht der Jugendlichen so peinlich ist, wie man mit ihnen über Alkohol oder Drogen spricht. Wir zeigen mit Instagram, Facebook und Youtube, wie es anders gehen kann. Man kann mit 15-Jährigen nicht sprechen wie mit Fünfjährigen. Was wir in den sozialen Medien machen, spricht die Jugendlichen an. Und genauso kann man es auch mit Plakaten machen. Nach der Vereinsgründung hatten wir sogar mal eine kleinere Plakatkampagne. Wir haben den Verein, der dieses wenig gelungene Eso-Plakat zum Thema Suizidprävention aufgehängt hatte, angesprochen und eine Kampagne für ihn entwickelt. Wir haben die Zielgruppe analysiert und gesehen, dass Mädchen zwar eher Suizid versuchen, es aber bei Jungs eher klappt. Deshalb haben wir unsere Kampagne speziell auf Jungs zugeschnitten. Damals war gefühlt jeder tätowiert, deshalb war auf unserem Plakat ein tätowierter Oberarm zu sehen mit der Nummer der Telefonseelsorge drauf, nach dem Motto: Tätowieren tut weh, anrufen nicht. Die Plakate hingen eine Woche in der U-Bahn, und viele Jugendliche haben darauf reagiert und sich Hilfe gesucht.

Kampagnen, die über Zigaretten, Alkohol oder zu schnelles Fahren aufklären sollen, setzen oft auf Abschreckung. Man denke nur an die Bilder auf den Zigarettenschachteln oder an Plakate an Autobahnen. Warum machen Sie das anders?

Das Thema ist schon so angstbehaftet, da wollen wir nicht noch mehr Angst schüren. Selbst Journalisten wissen oft nicht, wie sie in Interviews mit mir über das Thema sprechen sollen. Wir wollen, dass die Menschen frei über seelische Gesundheit sprechen können. Deshalb machen wir Projekte wie den „Bar-Talk“ mit Markus Kavka, ein Interviewformat auf frnd.tv, in dem wir mit Prominenten über deren Höhen und Tiefen reden. Es hilft, wenn dann zum Beispiel Clueso sagt, dass er zwar keine Depressionen habe, aber eben auch mal dunkle Momente und erklärt, was er tut, um aus diesem dunklen Loch dann herauszukommen. Wir reden ja über alles Mögliche, gerade Emotionen sind ein Dauerthema, also warum nicht auch über Depressionen? Es muss okay sein, auf die Frage, wie es mir geht, mal nicht einfach nur „gut“ zu sagen, ohne dass sich dann gleich alle wegdrehen, weil es unbequem werden könnte. Wir möchten, dass das Thema angstfrei angegangen wird. Es kann ja nicht immer alles geil sein da draußen, muss es ja auch nicht.

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