Gratis-Interview  Deutschland summt!

Deutschland summt!

Mehr als Honig im Kopf

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  • Sabrina Richmann
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Die Initiative „Deutschland summt!“ kämpft seit 2011 gegen das Bienensterben und für eine bessere Wertschätzung biologischer Vielfalt. Neben einer spektakulären Imkerei-Kampagne setzen die Initiatoren Dr. Corinna Hölzer und Cornelis Hemmer dabei vor allem auf den Mitmachfaktor gemeinschaftlicher Gartenaktionen und den Spaß an einem unverfälschten Naturerlebnis. Unter dem Motto „Informieren, inspirieren, mobilisieren“ haben sie ein bundesweites Netzwerk aufgebaut, in dem noch jede Menge Waben für neue Bienenfreunde frei sind.

GALORE

Albert Einstein war es jedenfalls schon einmal nicht. Das berühmte Zitat „Wenn die Biene von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben“ wird ihm zwar immer noch ab und zu zugeschrieben, doch das Einstein-Institut hat seine Urheberschaft dementiert, und der wahre Autor ist unbekannt verzogen. Was nicht bedeutet, dass er nicht recht gehabt hätte. „Die Idee hinter diesem Satz ist: Wenn ein so wichtiges Schlüsselwesen wie die Biene als Artengruppe verloren geht, geht auch die Bestäubung zurück“, sagt Cornelis Hemmer. „Und mit der Bestäubung die Befruchtung von Obst und Gemüse. Dadurch käme uns wiederum die Lebensgrundlage abhanden, denn wir müssen ja irgendetwas essen. Und wenn kein Obst und kein Gemüse und keine Sämereien mehr da sind, dann wird es uns schlecht ergehen. Dann müssen wir auf die Bäume klettern und selber bestäuben.“ Keine schöne Vorstellung. Und eine, gegen die Hemmer anarbeitet.

Zusammen mit Dr. Corinna Hölzer hat er im Jahr 2011 die „Stiftung für Mensch und Umwelt“ gegründet, aus der wiederum die Initiative „Deutschland summt!“ hervorgegangen ist. Die Kampagne möchte mit vielfältigen Aktionen auf das Artensterben aufmerksam machen und gleichzeitig Wege aufzeigen, wie wir uns für einen verantwortlichen Umgang mit der Natur engagieren können – im Zeichen der Biene. „Wir sind beruflich schon lange mit dem Thema biologische Vielfalt verbunden, Cornelis im Naturschutz, in der Szene der Nichtregierungsorganisationen, ich als Selbständige in der Umweltkommunikation“, sagt Hölzer. Sie ist Diplom-Biologin, Hemmer Diplom-Geograph“. Kennengelernt haben sich die beiden vor 15 Jahren bei verschiedenen Naturschutzaktionen. Das Engagement von damals merkt man den Bienenfreunden auch heute noch an, abgeschmeckt allerdings mit einem Sinn für publikumswirksame Öffentlichkeitsarbeit, die das Missionarische in den Hintergrund rückt. „Uns hatte schon immer umgetrieben, dass Naturschutz oft so belehrend rüberkommt, gerade in den Achtzigern, als wir damit groß geworden sind“, erinnert sich Dr. Hölzer. „Das wollten wir nicht mehr. Wir wollten nicht den Zeigefinger erheben, sondern die Massen erreichen. Schließlich interessieren sich seit damals gefühlt immer weniger Menschen für Naturschutz, obwohl die Probleme nicht weniger geworden sind.“

Vor acht Jahren stießen die beiden dann auf eine Möglichkeit, den Naturschutz gewissermaßen auf die sanfte Tour in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und eine Mitmach-Atmosphäre zu kreieren, die ein niederschwelliges Angebot macht. „Im Mai 2010 wurde unsere Idee geboren, sich im Rahmen eines Ideenwettbewerbs von der Bundeskulturstiftung für ein nachhaltiges Berlin einzusetzen“, berichtet Cornelis Hemmer. „Die Aktion nannte sich zunächst ‚Berlin summt! - Honig von prominenten Dächern der Hauptstadt’, für die wir im gleichen Herbst tatsächlich den Zuschlag bekommen haben. Dadurch wurden wir mit einer Starthilfe von 20.000 Euro versorgt, um das Projekt umzusetzen.“ Corinna Hölzer führt aus: „Wir haben schnell gemerkt, dass das Thema, Bienen auf die Dächer der Hauptstadt zu setzen, die Medien unheimlich interessiert hat. Wir wollten aber nicht nur die Medienleute begeistern, sondern vor allem die Führungskräfte der entsprechenden Häuser, denn um die Massen zu mobilisieren, brauchten wir ein Scharnier. Unsere Überlegung war: Jeder Berliner hat ja eine Beziehung zu einer bestimmten Einrichtung. Manche sind eher kulturbegeistert, die gehen dann zum Haus der Kulturen der Welt. Andere gehen gerne ins Naturkundemuseum. Und wenn ihr Museum oder Konzerthaus dann plötzlich Honigbienen präsentiert, und der Hausherr sagt: ‚Ich habe jetzt Honigbienen, weil ich verstanden habe, dass es das Bienensterben gibt und ich mich dagegen einsetzen möchte’ – dann haben wir die Hoffnung, dass der Funke noch einmal anders überspringt. Dasselbe gilt für Politik und Kirche: Das sind Akteure, die sich ganz anders als Kulturschaffende für die Bienen einsetzen können. Deshalb haben wir dann Honigbienen auf das Abgeordnetenhaus gesetzt – und auf den Berliner Dom. Die Bienenbeuten stehen da auch alle noch und wir wissen, dass die Hausherren ihre Honigbienen liebgewonnen haben und sie gar nicht mehr wieder hergeben wollen.“ Auch das war ein Teil der Grundidee: Die Aktion sollte in die Häuser und die Unternehmen hineinstrahlen und aus ihnen wieder raus. Und dann in die Breite: Am Ende standen die Bienenbeuten nicht nur auf den Dächern von Berliner Postkartenmotiven, sondern auch auf der Universität, der Studierendenmensa, der Sparkasse und dem Planetarium. „Ursprünglich hatten wir an sechs Standorte gedacht, am Ende waren es 17“, sagt Dr. Hölzer nicht ganz ohne Stolz. „Die Medien sind wie wild über uns hergefallen, als es im April 2011 losging mit der Bienensaison. Die hatten eben noch nie einen Walter Momper mit Imkerschleier gesehen, der eine Dreiviertelstunde lang in einen Bienenkasten guckt und sagt: ‚Mein Gott, jetzt musste ich so alt werden, bis ich mal endlich Honigbienen sehe. Ich wusste gar nicht, dass die so interessant sind.’ So fing das an.“ Hölzer sieht zu Hemmer herüber, auf dessen Gesicht sich ein Lächeln abzeichnet: „Tja, und acht Jahre später summen wir immer noch und haben ein ganzes bundesweites Netzwerk aufgebaut.“

Die Biene als Botschafterin

Um uns tiefer in das Thema führen zu lassen, besuchen wir Corinna Hölzer und Cornelis Hemmer in ihrem Stiftungsbüro in Berlin-Zehlendorf. Hier, im Südwesten der Hauptstadt, ragt die Natur noch spürbar ins Stadtbild des Wohnbezirks herein. Die wenige Hundert Meter weit entfernten Naherholungsgebiete Krumme Lanke, Schlachtensee und Grunewald bietet ganzjährig ein Idyll, das wiederholt Eingang ins Berliner Liedgut gefunden hat. Im Sommer kann man hier die Badehose einpacken, Bier mit Waldmeistergeschmack trinken und bläulich schimmernde Libellen über die Wasseroberfläche flitzen sehen, im Winter werden die zugefrorenen Seen von Schlittschuhläufern geschätzt, die das Areal dann in ein Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren verwandeln. Selbst an die Wildschweine, die im Herbst an die Mülltonnen gehen und wenig später auf den Wirtshaustellern landen, kann man sich gewöhnen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Mensch die Umwelt zu lieben scheint, wenn er sich am Wochenende darin breitmachen kann, nur um dann den Rest der Zeit zu vergessen, wie fragil das Zusammenspiel der Ökosysteme und wie entscheidend seine eigene Rolle darin ist. Die Erde als Untertan – ein Missverständnis aus biblischen Zeiten, das immer noch auf die Art und Weise abfärbt, mit der die Menschen ihre fleißigen Schöpfungsgenossen betrachten. „Asseln, Spinnen und Fadenwürmer sind gut fürs Bodenleben – sind aber für die meisten Menschen nicht schön anzusehen“, weiß Corinna Hölzer. „Deshalb braucht man für den Naturschutz ein Symboltier wie den Laubfrosch oder die Langohrfledermaus, das die Leute fasziniert. Es gibt ein paar Tiere, die das schaffen, und die man als Flagge vor sich her tragen kann. Bei einem Bestäuberinsekt wie den Bienen kommt vieles zusammen, weil sie Schlüsselwesen zwischen Pflanzen und Tieren sind. Damit, so der Gedanke, kann man eine Komplexität sehr kommunikativ darstellen. Biodiversität ist ja nichts Neues, aber als weites Thema nicht immer leicht zu vermitteln. Mit den Medien haben wir uns darüber in unserem früheren Leben schon oft vergeblich auseinandergesetzt. Da hieß es dann immer: Biodiversität ist nicht kommunizierbar, überlegen Sie sich mal besser etwas anderes.“

„Wenn kein Obst und kein Gemüse mehr da ist, dann wird es uns schlecht ergehen. Dann müssen wir auf die Bäume klettern und selber bestäuben.“ Cornelis Hemmer

Auch im öffentlichen Bewusstsein stellten sich etwa um die Jahrtausendwende durchaus Ermüdungserscheinungen ein, was das Engagement für Natur und Umwelt angeht. Nach den erlebbaren Tiefpunkten in den Sechziger- und Siebziger-Jahren, als Rhein und Elbe biologisch praktisch tot waren und man im Ruhrgebiet noch fast Atemkrämpfe an der frischen Luft kriegen konnte, spürte man danach lange Zeit einen diffusen Aufwind im Umweltschutz. Nach dem Motto „Wir haben ja Greenpeace und Die Grünen“ wurden dabei auch Verantwortlichkeiten delegiert, die sich nicht immer in Politik niederschlugen. Cornelis Hemmer trifft zusätzlich eine Unterscheidung zwischen Umweltschutz und Naturschutz. „Der Umweltschutz ist ein Bereich, den wir technisch begreifen“, sagt er. „Dazu gehören die erneuerbaren Energien, die Luftreinhaltung, der Atomausstieg. Der klassische Naturschutz ist dagegen das, was wir mit dem Arten-, Biotop- und Lebensraumschutz sowie dem Erhalt der genetischen Vielfalt beschreiben können. Diese Begriffe werden natürlich auch synonym verwendet, aber sie zu unterscheiden ist hilfreich. Denn im Vergleich zum Umweltschutz wurde der Naturschutz, also die Erhaltung der Biodiversität, immer schon eher stiefmütterlich behandelt. Erst 1992 wurde auf der Rio-Konferenz neben dem Klimaschutzprotokoll zur Rettung der Umwelt auch die ‚Internationale Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt‘ verabschiedet. Das Wort war damit zwar geboren, doch die Umsetzung blieb auf der Strecke. Bis heute sind all die erklärten Ziele, den Artenschwund aufzuhalten, gescheitert.“

Verzicht versus Wachstum

Das betrifft nicht nur Pflanzen und Tiere in Ökosystemen wie dem Amazonasgebiet, sondern ihre Artenvielfalt weltweit und eben auch in Deutschland. Von den ursprünglich hier heimischen 584 Wildbienenarten sind bereits 39 ausgestorben, von den restlichen sind 50% bedroht. Unter dem Schlagwort Bienensterben ist dabei ein komplexer Vorgang in den Fokus gerückt, der stellvertretend für eine Grundproblematik steht. „Wir haben sehr viele Defizite hierzulande, was die Umsetzung von Verboten bei Spritzmitteln in der Landwirtschaft angeht“, sagt Hemmer. „Denken wir nur an die Neonicotinoide oder das Glyphosat-Thema, das uns jetzt schon seit Jahrzehnten verfolgt. Wie wir in den Siebzigern beim Thema DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan, Anm. der Redaktion) gesehen haben, braucht es hier oft erst Tote oder zumindest Studien noch und nöcher, bevor man etwas dagegen tut. Das ist dramatisch. Zurzeit werden lediglich 10% der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland biologisch bewirtschaftet, was bedeutet, dass es für 90% – bildlich gesprochen – regelmäßige Spritzdosen gibt. Wir lassen es zu, dass wir unsere Äcker und Böden, und damit unsere Mikroorganismen und unsere Grundwässer, vergiften. Das wird uns am Ende natürlich wieder treffen. Die Wasserwerke beginnen seit Längerem Alarm zu schlagen, weil sie immer mehr Stoffe aus unserem Trinkwasser nicht herausfiltern können. Und das Ärgerliche ist, dass wir das auch noch über unseren EU-Haushalt subventionieren, denn die Landwirte bekommen Flächenprämien, egal ob die umweltverträglich anbauen oder nicht. Dieses Dilemma aufzulösen ist die Aufgabe der nächsten Jahre - für uns alle in der Republik.“

Hemmer redet ruhig und gelassen, doch man merkt ihm an, dass er hier über ein Thema referiert, das insgesamt eigentlich zu dringend ist, um sich in Kleinteiligkeit zu verlieren. Wenn man ihn fragt, warum angesichts klarer wissenschaftlicher Erkenntnisse das Umdenken und Handeln so schwierig zu sein scheint, hält er kurz inne. „Das ist eine spannende Frage, die man nicht in einem Satz beantworten kann“, sagt er dann. „Es hat damit zu tun, dass wir als Menschen nicht bereit sind, diese Herausforderung ernsthaft anzunehmen. Das würde nämlich eine dramatische Änderung unserer Lebensstile bedeuten, einen Einschnitt, einen Verzicht auf das allermeiste, was wir tun. Wir verbrauchen inzwischen so viele Ressourcen, dass dafür eigentlich ein zweiter Planet nötig wäre. Der Punkt, an dem die Weltressourcen für das laufende Jahr theoretisch aufgebraucht sind, kommt mittlerweile schon regelmäßig im Juli oder August, sodass man den Rest des Jahres auf Kosten der Umwelt, der Natur und der nachfolgenden Menschheit lebt. Das schließt den übermäßigen Verbrauch von Energie, Wärme und Trinkwasser ein. Unsere Flüsse mögen zwar sauberer als noch in den 70er Jahren sein, aber sie tragen immer noch eine große Chemiefracht, wenn man an das Eintragen von Pestiziden und Hormonstoffe aus den Oberflächengewässern denkt. Die Industrie und ihre Lobbyisten sind hier leider immer noch so stark in der Vertretung ihrer Interessen, dass es nicht gelingt, so einschneidende Änderungen einzuführen, wie sie eigentlich erzielt werden müssten.“

„Der Wohlstand kennt nur eine Richtung: Wachstum. Suffizienz oder Verzicht sind Vokabeln, die man da gar nicht benutzen darf.“ Cornelis Hemmer

Offenbar neigt der Mensch auch allgemein zu einer Vogel-Strauß-Taktik, wenn Forderungen, die sich aus diffizilen Tatsachenbeständen und globalen Verflechtungen ergeben, gegen die eigene Bequemlichkeit und den Verbraucheranspruch aufgewogen werden sollen. Naturschutz ist abstrakt, das Wiener Schnitzel auf dem Teller dagegen lecker konkret. Schwer denkbar, dass das alles wirklich miteinander zusammenhängen soll: der Konsum, die Landwirtschaft, die Bienen. „Die Leute stellen sich lieber vor, dass man sich irgendwie aus der Misere heraustechnologisieren kann, als dass man Bescheidenheit lernen muss“, warnt Hemmer. „Die gesamte Konsequenz wird ja auch in der öffentlichen Diskussion gar nicht mehr angesprochen, weil dann jeder in Schockstarre gerät. Ein Politiker, der solche Forderungen in den Mund nehmen würde, würde sofort von den eigenen Kollegen diskreditiert und wahrscheinlich keinen Stich mehr machen. Eine Formulierung wie ‚Wir müssen kürzertreten’ bedeutet eben immer Einbußen in der Prosperität. Der Wohlstand kennt aber nur eine Richtung: Wachstum. Suffizienz oder Verzicht sind Vokabeln, die man da gar nicht benutzen darf.“ Zu unsexy, wie Werber und Marketingstrategen vermutlich auf Neudeutsch sagen würden. Das semantische Äquivalent von Asseln, Spinnen und Fadenwürmern.

4 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung

„Das Bienensterben war in Deutschland zunächst einmal ein Imkersterben“, sagt Dr. Corinna Hölzer. „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten viele Pfarrer und Landwirte Bienenstöcke, und die haben dann auch ihre Nachkommen zur Imkerei herangezogen. In der DDR hielt sich die Imkertradition noch länger als in der Bundesrepublik, doch seit man seinen Honig plötzlich einfach in Supermärkten kaufen kann, hat sie auch dort nachgelassen. Dazu kommt, dass Imker in der Regel recht einzelgängerisch sind. Selbst die Imkervereine zeichnen sich noch zu wenig durch ein gemeinsames Vereinsleben aus als etwa durch die Möglichkeit, sich gemeinsam versichern zu können oder gemeinsam Großbestellungen zu tätigen. Im Bereich der hobbymäßigen Honigbienenhaltung gibt es aus Imkerperspektive momentan trotzdem so etwas wie einen Hype. In den letzten zehn Jahren soll sich ihre Zahl bundesweit um etwa ein Drittel erhöht haben.“

Das ist in vielerlei Hinsicht eine gute Nachricht. Als Kämpfer gegen das sogenannte Bienensterben stehen die Imker mit ihrer Expertise, ihrem Einsatz und ihrem wachsenden Einfluss in der ersten Reihe des Widerstands. Als Schlagwort selbst schließt der Begriff „Bienensterben“ inhaltlich unter anderem auch zwei Schädlinge mit ein. Der eine ist die Amerikanische Faulbrut, Sporen, die von Bienen aufgegriffen und zurück in die Brut transportiert werden, der andere ist die Varroamilbe, ein Parasit, der aus Asien importiert wurde und seit den 70er Jahren heimische Honigbienen befallen hat. „Die von den Milben übertragenen aggressiven Viren, die die Honigbienen selbst bei bester Haltung schädigen und gegen die der Imker nur vorgehen kann, wenn er Ameisensäure verdampft oder andere neuere, bienenfreundliche Methoden nutzt“, erläutert Cornelis Hemmer. Seiner Meinung nach sind beide Krankheiten mit individuellen Gegenmaßnahmen ziemlich gut in den Griff zu bekommen, was jedoch nicht für die Schädigung durch Pestizide gilt. „Viele Pestizide wirken nicht selektiv, selbst wenn das von den Chemiekonzernen gelegentlich behauptet wird“, sagt er. „Die Applizierung mit Neonicotinoiden wirkt besonders dramatisch, weil das Nervengifte sind, die den Bienen die Orientierung nehmen. Honigbienen, die morgens aus ihrem Stock fliegen, finden abends nicht mehr den Weg zurück und werden dezimiert.“ Das gilt selbstverständlich nicht nur für die gestreiften Honigproduzenten. „Wir haben in den letzten 30 Jahren etwa 70% unserer Insekten in Deutschland verloren, und zwar als Individuen, also als Biomasse, als Lebendgewicht“, rechnet Hemmer vor. „Honigbienen als Nutztiere haben dabei den relativen Vorteil, dass sie aus dieser Gefahrensituation heraustransportiert und im Zweifel auch noch nachgezüchtet werden können. Das geht bei Wildbienen schon nicht mehr. Die kann man schließlich nicht einzeln einsammeln und mit ihnen woandershin gehen. Das Insektensterben ist also auch deshalb so dramatisch, weil es still und schleichend stattfindet.“

Und weil es größtenteils unbemerkt stattfindet. An weniger Mückenstiche im Sommer gewöhnt man sich schnell, an selbstbefruchtete und weniger genießbare Früchte, wie sie ohne die Arbeit der Bienen an Sträuchern hängen würden, nur langsam. Die Wirtschaftsleistung der sprichwörtlich fleißigen Bienen als Bestäuberinsekten wird alleine für Deutschland mit etwa 4 Milliarden Euro pro Jahr angegeben – an dritter Stelle hinter Kühen und Schweinen, die wiederum in erster Linie als Nahrungsmittellieferanten veranschlagt werden. Es ist eine hohe und seltsam kalte Zahl – ein Preisschild auf etwas eigentlich Unverkäuflichem. Statt sich in Zynismus zu üben, erzählen Hölzer und Hemmer allerdings lieber von ihrer Initiative, die beste Chancen hat, ein Problem mit vielen Händen an der Wurzel zu packen. „Wir sind ja eine Kommunikationsstiftung und versuchen, gute Kommunikation zu machen“, sagt die Biologin. „Man muss die Leute da abholen, wo sie stehen, wie man so schön sagt.“

Einmal abgeholt, haben sich zunächst einmal die Imker „ein Loch in den Bauch gefreut“, als sie ihre Bienen auf den Promigebäuden aufstellen durften. Weil Honigbienen bei ihren Flügen einen Radius von drei bis maximal sieben Kilometern haben, fällt es ihnen nicht schwer, beispielsweise vom Berliner Dom aus in den Tiergarten zu fliegen, dort Nahrung zu suchen und auf dem Rückweg noch mal schnell bei den Blüten Unter den Linden nach dem Rechten zu schauen. Auch die hoch gelegenen Standorte stellten sich als unproblematisch heraus. Um die 26-Meter-Traufhöhe des Doms zu erreichen, lassen sich die Bienen von den Aufwinden um das Gebäude herum bequem nach oben treiben. Die Honigerträge waren bisher ebenfalls verblüffend ergiebig, doch noch größer dürfte auf Dauer die Signalwirkung der publicityträchtigen Kampagne gewesen sein. „Unsere Initiative setzt sich für biologische Vielfalt ein“, sagt Cornelis Hemmer. „Und dafür, dass die Erkenntnis reift, dass jeder da, wo er steht – privat oder beruflich –, einen Beitrag dazu leisten kann. Egal ob man einen Garten oder einen Balkon hat, sich für Urban Gardening interessiert oder bloß eine Baumscheibe begrünen will. Wir möchten informieren, inspirieren, mobilisieren – und zwar auf dreifache Art. Direkt, indem man seinen Garten im Geiste des Nachhaltigkeitsgedankens nutzt, oder indirekt, indem man zum Beispiel seinen Chef fragt, ob man nicht etwa an Brachstellen auf dem Firmengelände tätig werden könnte. Und drittens kann man ein Multiplikator sein, der andere inspiriert. Und da sind wir dann bei unseren Städtepartnern.“

Think global, act local

Damit aus „Berlin summt!“ nach und nach „Deutschland summt!“ wird, haben sich Hölzer, Hemmer und ihre Partner zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, das individuellen und dezentralen Akteuren und Gruppierungen dabei hilft, „eine Stadt basierend auf guter fachlicher Praxis zum Summen zu bringen. Wir betreuen Vernetzungsworkshops vor Ort oder liefern Informationen. Zum Beispiel, welche Samen man braucht, um eine gute Blumenwiese anzulegen, oder wie eine Wildbienenbehausung aufgebaut werden muss, um auch wirklich angenommen zu werden.“ Hier beobachtet die Initiative im Moment über das gesamte Bundesgebiet einen riesigen Zulauf. Nach Berlin gründeten sich Bienenhelferinitiativen in München, Hamburg, Frankfurt am Main und Hannover sowie in zahlreichen anderen Gemeinden, Städten und Landkreisen, darunter Ingolstadt, Schweinfurt, Aschaffenburg und die Region Lüneburg. Aktuell sind es insgesamt 22. „Als Dortmunderin freut es mich, dass aktuell viel Interesse aus NRW kommt“, sagt Hölzer, die gleichzeitig den flexiblen Ansatz der Aktion betont. „Das sind immer Vorort-Initiativen, bei denen jeweils verschiedene Akteure in unterschiedlicher und passender Form eingebunden werden. Wir versuchen mit unserer Initiative, die Leute beim Einsatz vor Ort dazu zu befähigen, wieder andere zu mobilisieren.“

„Wenn man die Leute einmal am Haken hat, lechzen sie nach mehr Information, wie sie ihre Gärten bienenfreundlich gestalten können.“ Dr. Corinna Hölzer

In Ebersberg schlossen sich gleich 20 Kommunen im Zeichen der Biene zusammen, weil der neue Landrat ein Herz für die biologische Vielfalt hatte und seine Kommunen in das Netzwerk einlud. In Eichstätt trat der Regens des dortigen Priesterseminars als Schirmherr in Erscheinung, anderswo waren Bürgermeister, Kleingärtner, Hochschullehrer, Mitarbeiter von Landschaftspflegeverbänden und Unternehmen vor Ort im Einsatz, ganz zu schweigen von den zuverlässigen Imkern. „Wir bekommen nahezu jeden Tag Anrufe oder E-Mails von Menschen und Organisationen, die mitsummen wollen, weil sie spüren, dass sie trotz der vermeintlichen Kleinteiligkeit der Aktion die Macht haben, Communities zu bilden, sich gegenseitig zu verstärken und etwas zu verändern“, sagt die Biologin. Bei Interesse setzt sie mit ihrer Initiative dann eine Kooperationsvereinbarung auf, liefert Kommunikationsmaterialien, eine Internetseite samt Maskottchen sowie weitere identifikationsstiftende Maßnahmen, die es „den Kümmerern vor Ort relativ leicht machen sollen, an den Start zu gehen.“ Dass die Initiative besonders in Städten so gut angenommen wird, ist für Corinna Hölzer auch ein kritischer Punkt. „Die Stadt-Land-Beziehung war uns von Anfang an wichtig“, sagt sie. „Denn die Stadtbewohner sind teilweise so weit weg von der Natur, dass sie eine verklärte Vorstellung davon haben, was auf dem Land passiert. Mittlerweile ist die Situation in der Stadt für die Bienen teilweise schon lebenswerter als auf dem Land mit all dem industriellen Ackerbau und den riesigen Monokulturen. Doch weil die meisten Menschen in Deutschland nun einmal in Städten leben, versuchen wir, diesen Leuten nahezubringen, dass ihr Arm sehr lang aufs Land hineinreicht. An der Lebensmitteltheke beispielsweise können sie jeden Tag entscheiden, ob sie sich für Bienen auf dem Land einsetzen und wie sie morgen leben wollen.“

Ein weiteres konkretes Ziel von „Deutschland summt!“ ist der Einsatz für biodiverse Gärten – eine Aufklärungsarbeit, die bei den klassischen Kleingärtnern auch eine ästhetische Komponente haben kann. Hölzer und Hemmer können sich an einen Gartenwettbewerb erinnern, bei dem sie der Besitzerin eines eher ungezähmten Gartens aufs Siegertreppchen verholfen haben, zum Entsetzen des Kleingartenvorstands. „Die Frau wurde vom Rest der Kleingartenkolonie fast weggeklagt und musste richtig um ihren Garten kämpfen“, sagt die Biologin und schmunzelt. „Als die dann von uns ausgezeichnet worden ist, hat das zuerst für Furore gesorgt und dann dazu, dass ihre Nachbarn, die seit Jahren sechzig Zentimeter tiefe Glasscheiben an der Gartengrenze in den Boden gelassen hatten, weil sie Angst vor Wurzelunkräutern hatten, mit der Prämierten zumindest respektvollen Kontakt aufnahmen und sie nicht mehr bekämpften.“

Inzwischen hat hier ein Umdenken begonnen. „Die bienen- und insektenfreundlichen Gärten sind nicht die, die möglichst reglementiert, kahlgeschoren und unter Dünger- und Pestizideinsatz gefügig und ‚hübsch’ gemacht werden, sondern die artenreichsten“, sagt Cornelis Hemmer. „Wenn man noch einmal die 584 Wildbienenarten nimmt, die stellvertretend für die vielen Tausend Insektenarten in Deutschland stehen, und bedenkt, dass fast jede Bienenart eigentlich eine andere Pflanzengruppe zum Leben braucht, liegt das natürlich auf der Hand. Insbesondere Wildbienen sind in hohem Maße an verschiedene einzelne Pflanzenarten gebunden. Nicht allen schmeckt die Mohnblume, die Kornblume oder die Glockenblume. Und wenn die Glockenblume im Garten fehlt, kommt die dazugehörige Glockenblumen-Sägehornbiene eben auch nicht vor. Wenn man dann noch weiß, dass unsere heimischen Bienen eher mit einheimischen als mit fremdländischen Pflanzen zurechtkommen, ist das ein weiterer Hinweis auf eine standortangepasste Bepflanzung. Bei einigen exotischen Pflanzen liegt beispielsweise der Kelch oft so tief, dass unsere einheimischen Bienen mit ihrem Rüssel gar nicht zum Nektargrund gelangen. In nächster Konsequenz müssen also auch Baumärkte dazu gebracht werden, Samen und Stauden aus der Region zu verkaufen, denn vor allem die hier heimischen Pflanzenarten können den hier ansässigen Insektenarten als optimale Nahrungsgrundlage dienen. Aktuell ist das nicht der Fall, und die Baumarkt-Angebote beinhalten häufig Saatgut aus Osteuropa oder den USA.“

An dieser Stelle wird wiederholt deutlich, wo der etablierte „Think global – act local“-Gedanke immer wieder ansetzen muss. Während die Warenauswahl in Deutschlands Supermärkten immer größer wird, wird die Biodiversität draußen vor der Tür immer geringer. Beides hat nicht nur ökologische und wirtschaftliche Komponenten, sondern auch eine gesellschaftliche und lebensanschauliche Ebene. „Über die Stärkung der biologischen Vielfalt läuft letztlich auch eine Stärkung von kommunaler Zusammengehörigkeit“, sagen Hölzer und Hemmer aus Erfahrung. „Das ist auch ein politischer Aspekt, schließlich nimmt man durch biodiverse Gärten, Randstreifen, Verkehrsinseln und so weiter seinen Lebensraum wieder für sich in Anspruch, statt sich einfach etwas vorschreiben zu lassen. Und es stärkt die Gemeinschaft. Wenn man etwa bei einem Pflanzwettbewerb vom Kegelverein bis zur Schulklasse gemeinsam den Spaten in die Hand nimmt, kommt man ins Gespräch über das, was man da tut, und merkt: Zusammen macht es mehr Spaß.“ Der Trend der jüngsten Vergangenheit gibt den beiden Bienenfreunden recht. An der großen „Deutschland-summt!“-Aktion im letzten Jahr nahmen bundesweit insgesamt 198 Gruppen teil, der Pflanztipp-Ratgeber wurde den Initiatoren 20.000 Mal aus den Händen gerissen. „Dass es so rasant aufwärts geht, hätten wir auch nicht gedacht“, sagt Corinna Hölzer, die gleichzeitig den Eindruck macht, es doch ein wenig geahnt zu haben. „Wenn man die Leute einmal am Haken hat, lechzen sie nach mehr Information, wie sie ihre Gärten bienenfreundlich gestalten können“, sagt sie und lächelt.

„Je mehr man sich mit der Imkerei beschäftigt, desto weniger kommt es auf den Honigertrag an.“ Uwe Marth

Uwe Marth ist ein Imker, die seine Honigbienen für die Kampagne „Berlin summt“ zur Verfügung gestellt hat. Im Interview beantwortet er Fragen, die sich angehende Hobby-Kollegen stellen dürften.

Herr Marth, wann und wie haben Sie mit dem Imkern angefangen?

Das war 1996. Als wir in unser neues Haus gezogen sind, hingen dort überall Vogelkästen. Irgendwann habe ich die saubergemacht und eine Hornissenkönigin gefunden. Damals wusste ich schon, dass Hornissen eigentlich sehr friedfertig sind, und habe beim Senat angerufen, um mir Hilfe beim Umsetzen der Königin zu holen. Kurz danach dachte ich, dass es doch schön wäre, Bienen im Garten zu haben. Zufällig traf meine Frau dann über die Arbeit auf den Vorsitzenden eines Imkervereins. Der hat mir die ersten Schritte ermöglicht und zwei Schwärme besorgt. Anfangs hatte ich noch Bedenken, ganz allein an die Bienen zu gehen, aber nachdem er mir alles gezeigt hatte, wollte ich selber ran.

Spielte der Naturschutzgedanke auch eine Rolle?

Ja. Als wir in den Urlaub gefahren sind, fiel mir plötzlich etwas auf: Ich erinnerte mich, dass man in den 60ern praktisch an jeder Tankstelle die Scheiben putzen musste, weil überall Insekten klebten. Inzwischen gibt es das kaum mehr. Ich glaube, den Leuten ist mittlerweile bewusst geworden, dass unsere Umwelt stark gefährdet ist. Ohne die Insekten und die Bienen wäre die Natur arm dran. Manche Pflanzen werden zwar auch vom Wind bestäubt, aber die Bestäubung durch Bienen ist viel effektiver. Hinzu kommt, dass man die Leistung der Honig- und Wildbienen, etwa bei Bäumen oder kleineren Pflanzen, gar nicht so mitbekommt, weil diese keinen sichtbaren Ertrag liefern. Von der Bestäubung durch Insekten ist die ganze Ökologie abhängig. Als Imker hat man das vor Augen und kann ein wenig dabei helfen. Vermutlich hat das in den letzten 20 Jahren auch zu einem gewissen Boom geführt: Heute gibt es allein in Berlin etwa 1.500 Imker. Als ich 1996 angefangen habe, waren es noch 560.

Wie lange haben Sie gebraucht, um das Imkern selbstständig zu meistern?

Nach etwa fünf, sechs Jahren konnte ich zuverlässig die Königin im Stock finden. Man geht von fünf bis zehn Jahren aus, die es braucht, um ein geübter Imker zu sein. Wobei manche nach etlichen Jahren noch nachfragen, andere nehmen sich ein Buch und einen Bienenstock und machen alles ganz alleine.

An wen sollte man sich bei Interesse wenden?

Fast alle Imkervereine geben Hilfe bei der Einrichtung eines Bienenstandes. In Berlin bietet die Freie Universität Berlin seit Jahrzehnten sehr gute, kostenlose Imkerkurse an. Die Fortbildung im Imkerverein sollte aber nicht vernachlässigt werden. Wenn man da gut angeschlossen ist, wird einem mit einem Ableger geholfen oder man bekommt, so wie ich, einen Schwarm von seinem Imkervater.

Auf welche Kosten muss man sich bei diesem Hobby in etwa einstellen?

Als Grundstock für die Imkerarbeit (Jacke, Hut, Stockmeisel, Kehrbesen) sollte man etwa 50,- € einplanen, eine Beute (Wohnung) für ein Bienenvolk kostet ca. 80,- € bis 120,- €, je nach Qualität. Ich selbst habe Ableger, kleine Neuvölker, gemacht, für die ich mir im nächsten Jahr einen Eimer Honig oder 80,- € bis 100,- € als Ersatz erbeten habe. Meist hat man schnell genug Leute zusammen, die einem Honig abkaufen, dass man bei diesem Hobby bei plus minus Null rauskommt.

Von wie viel Honig pro Jahr kann man in Ihrem Fall reden?

Ich habe inzwischen 80 bis 90 Bienenvölker gehabt, teilweise bis zu 20 gleichzeitig. Der Ertrag hängt sehr vom Standort und vom Jahrgang ab, wobei ich es nie auf den höchsten Ertrag abgesehen habe. Nur zur Erinnerung: Ein Bienenvolk verbraucht je nach Größe 100 bis 300 Kilo Nektar pro Jahr selbst, und nur wenn ein Überschuss vorhanden ist, kann der Imker etwas wegnehmen. Ein Volk, das im Rahmen der Kampagne auf dem Berliner Dom steht, hat einmal 50 Kilo Ertrag produziert. 20 bis 25 Kilo pro Ertragsvolk sind aber eher die Regel. Manche reden auch von 70 Kilo, aber das ist womöglich Imkerlatein. Insgesamt gilt: Je mehr man sich mit der Imkerei beschäftigt, desto weniger kommt es einem auf den Honigertrag an.

Sondern auf was?

Das Schönste ist, zu lernen, dass man einem Organismus gegenübersteht, der sich durch Tod und Geburt der Bienen verändert und trotzdem den gleichen Charakter behält. Ein Bienenschwarm benimmt sich wie ein Körper. Mit Ausnahme der Königin sind die Bienen des Sommers andere als im März. Es ist wie ein Mensch, der wächst: Es bleibt derselbe Mensch, aber er hat seine gesamte Zellstruktur einmal verändert. Die Bienenvölker benehmen sich alle unterschiedlich, bleiben sich selbst aber jeweils immer gleich. Die einzelne Biene stirbt nach 60 Tagen, aber es werden neue geboren, die genau in das System eingebaut werden und die Aufgaben der vorhergehenden übernehmen. Das finde ich unglaublich faszinierend.

Stellen Ihre Bienen eine bestimmte Sorte Honig her?

Ja, die wunderbare Berliner Mischung (lacht). Da sind 40, 50 verschiedene Pollen drin. Den dürfte man gar nicht nach einer Sorte benennen, sondern nur als Frühlings- oder Sommerhonig bezeichnen. Die Menschen ahnen nicht, wie vielfältig der Honig allein in der Stadt schmeckt. Auch von Jahr zu Jahr gibt es Unterschiede, je nachdem wie die Blühzeiten sind. Ich zitiere den Nobelpreisträger Karl von Frisch, der vor etwa 50 Jahren den Bienentanz entschlüsselt hat: „Der Bienenstaat gleicht einem Zauberbrunnen – je mehr man daraus schöpft, desto reicher fließt er.“

Folgende Frage soll ich Ihnen im Namen meiner Großnichte stellen: Wie oft sind Sie inzwischen schon gestochen worden?

(lacht) Oh, das kann ich nicht zählen! Einmal bin ich von über 50 Bienen gleichzeitig gestochen worden, als ich versehentlich zwei aneinanderklebende Kästen zusammen herausgehoben habe. Der eine ist runtergefallen, da waren die Bienensauer. Dazu muss man wissen, dass ich ohne Anzug und Handschuhe arbeite. Weil ich manchmal auch Vorführungen für Schulklassen gebe, ist es mir wichtig, den Kindern zu zeigen, dass selbst wenn die Bienen mich stechen, ich nicht schreie, sondern den Stachel rausziehe und ihnen die kunstvollen Widerhaken zeige. Zur Not habe ich natürlich noch einen Stift gegen Stiche dabei, falls jemand anderes gestochen wird.

Die Schulhof-Wandermärchen, denen zufolge man nach soundsovielen Bienenstichen geliefert ist, stimmen also nicht?

Das kommt darauf an. Wenn man zu den zwei Prozent Allergikern gehört, kann ein Bienenstich durchaus auch zu einem Herzstillstand führen und tödlich sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass hierzulande jedes Jahr mehr Menschen durch Bienen- als durch Wespenstiche sterben, wobei es auch gegenteilige Effekte gibt. Durch das Stechen, und das ist eine alte Weisheit, wird man sensibilisiert. Denn die von den Bienen produzierte Propolis, mit der sie seit Millionen von Jahren ihre Nester auskleiden, wirkt antibiotisch, antiviral und antimykotisch. Die Propolis wird etwa bei der Apitherapie genutzt und hat mir anscheinend auch schon geholfen. Als ich mit den Bienen angefangen habe, war ich allergisch gegen Frühblüher wie Birke und Haselnuss und verschiedene Speisen. Nach zwei Jahren Imkerei jedoch war ich plötzlich sämtliche Allergien los.

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