Asiem El Difraoui
„Die Vorzüge unserer Gesellschaftsvision werden ganz schlecht kommuniziert.“
Zur Person
Der Politologe, Volkswirt, preisgekrönte Dokumentarfilm- und Buchautor Asiem Hassan El Difraoui kam 1965 in Offenbach zur Welt. Der Deutsch-Ägypter studierte in Kairo, Paris und London Politik- und Wirtschaftswissenschaften, promovierte 2010 über die audiovisuelle Propaganda von Al-Qaida und betätigte sich viele Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die SWP, dem Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit. Als Print- und TV-Journalist arbeitet er in Deutschland, Frankreich, der Arabischen Welt und Asien und produziert mit seiner Firma Impossible Productions zahlreiche Dokumentationen für arte, WDR und Spiegel TV. Er ist Mitgründer der Candid Foundation in Berlin, die sich um den Dialog zwischen Europa und dem südlichen Mittelmeer kümmert sowie Mitherausgeber von Zenith, dem einzigen deutschen Magazin über die arabische Welt. Überdies hat er zahlreiche Sachbücher geschrieben. Sein neuer Titel „Wie der Dschihadismus über uns kam. Ein Augenzeugenbericht“ erscheint im Oktober 2016 bei Suhrkamp.
19.02.2016, Paris. Libyen, Iran, Irak, Syrien, Ägypten, die arabischen Emirate, dazwischen Machthaber wie Erdogan und Putin: Trotz täglicher Berichterstattung auf allen Kanälen dürften nur die wenigsten verstanden haben, was in den Krisenregionen des ehemaligen Osmanischen Reiches für Kräfte wirken, wer die Macht besitzt und welche Rolle dabei der Islamische Staat spielt. Wir wollten die Vorgänge besser verstehen und nachfragen, ob es Lösungen geben kann. Am Telefon, die großen Zusammenhänge und drängendsten Fragen mit Tempo, Kompaktheit und Präzision bündelnd: Der Politikwissenschaftler Asiem El Dafroui, eine der führenden Instanzen Europas für die Funktionsweise von Dschihadismus, Terror und die Instrumentalisierung von Angst der Minderheiten als Waffe gegen den Westen.
Herr El Difraoui, steuern wir auf einen multinationalen Krieg zwischen dem Westen und dem Nahen Osten zu?
Nein! Die Fronten verlaufen ganz anders. Wir leben in einer globalisierten Welt, haben aber nicht verstanden, dass wir globalisiert sind. Gerade in Deutschland begreifen wir nicht, dass unsere direkten südlichen Mittelmeer-Nachbarn am meisten unter diesem Krieg zu leiden haben. Die Konfrontation verläuft nicht zwischen dem Islam und Europa oder allein im südlichen Mittelmeerraum. Sie richtet sich vielmehr gegen eine totalitäre Ideologie, die zwar aus dem Islam Versatzstücke benutzt, aber kaum noch was mit der Religion zu tun hat. Diese Ideologie kann man nur gemeinsam bekämpfen, hier wären auch die Medien stärker in der Pflicht. Das Einzige, was wir von dieser Konfrontation sehen, sind Flüchtlinge und Terroristen. Dabei liegen die Probleme viel tiefer. Das sichtbarste heißt Daesh.
Ein Synonym für den Islamischen Staat. Wo genau liegt der Unterschied?
Es ist der bessere Name für diese Leute. Zum einen, weil sie keine Abkürzungen mögen. Und Daesh, eine arabische Abkürzung, die die Engländer und Franzosen für den Islamischen Staat im Irak und im Levante benutzen, trägt die Konnotation von „Zertrampler“ und „Zertreter“ in sich. Ich nenne sie Daesh, damit man ihnen die Möglichkeit abspricht, Begriffe wie „Islam“ zu annektieren.