Nachruf

Zum Tod von Tamme Hanken

Foto: Mef.ellingen / CC BY-SA 3.0

Ich lernte den selbsternannten "XXL-Ostfriesen" und Pferdedoktor Tamme Hanken durch einen ganz besonderen Handwerker kennen. Einen freundlichen, stets gut gelaunten, nicht rauchenden, nicht jammernden, nicht auf seinen Arbeitgeber oder die schiefen Böden fluchenden Fliesenleger, dem meine Frau und ich später ein Buch über seine Erlebnisse bei Kunden auf den Leib schrieben, das mittlerweile vergriffen ist, so dass seine Erwähnung an dieser Stelle keine Schleichwerbung darstellt. Doch selbst wenn - Tamme Hanken hätte die Episode darin geliebt, in der Jan Brechmann ihm durch unsere Feder ein Denkmal setzt. Die Szenerie: Ein Grillfest mit den Arbeitskollegen am Abend eines wichtigen Spiels von Borussia Dortmund. Alle wollen sehen, wie die Schwarzgelben ihre Gegner besiegen. Alle, außer Jan. Der kann - welch kolossaler Klischeebruch - mit Fußball absolut nichts anfangen. Was er stattdessen lieber anschaut? "Tamme Hanken. Der XXL-Ostfriese. So ein Baum von Kerl. Zwei Meter sechs. Hundertvierzig Kilo. Der hat Hände, das hast du noch nicht gesehen. Die sind so groß wie Tennisschläger. Echt jetzt. Man nennt ihn auch den Knochenbrecher. Der kriegt jedes Pferd wieder eingerenkt."

Die Begeisterung des Fliesenlegers war so anregend und aufrichtig, dass ich mich an meine Begeisterung für gewisse gemütliche Männer erinnert fühlte, denen ich gerne dabei zusehe, wie sie mit tiefen, brummigen Stimmen öffentlich ihrem Spezialgebiet nachgehen. Wolfgang Rudolph und Wolfgang Back vom "WDR Computerclub" beispielsweise, die ihr behagliches Testen und Erklären von Hardware und Software seit zehn Jahren als "CC2" im Netz weiterführen. Oder das tiefenentspannt entschleunigte Bewerten alter Schätze bei "Kunst & Krempel". Tamme Hanken gehört in eine ähnliche Kategorie. Ich bin kein Pferdehalter, kann die Kritik mancher Veterinäre an der Sendung und Hankens Methoden nicht beurteilen und habe keine Ahnung von den fachlichen Fragen der Chiropraktik für Großtiere. Genausowenig, wie sich meine professionellen Kenntnisse bezüglich antiker Porzellankannen oder den Schaltkreisen auf einem Raspberry Pi arg in Grenzen halten. Deswegen schaue ich solchen Männern nicht zu. Das Besondere an ihnen - und womöglich bin ich mit dieser Sichtweise alleine - ist die rustikale Ruhe und Zuversicht, die sie bei dem ausstrahlen, was sie tun. Ob sie Antiquitäten bewerten, Hardware vorstellen oder Pferde heilen, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Tamme Hanken ging seiner Arbeit im NDR nach. Seine Sendung folgte weder den heftig gescripteten und inszenierten Abläufen einer Doku-Soap im Privatfernsehen, noch gewann man bei ihm den Eindruck einer nur mäßig unterdrückten und dennoch aus allen Poren quillenden Eitelkeit, wie sie manch anderem prominenten Tierflüsterer zu eigen ist. Ihn bei seiner Arbeit zu verfolgen, erzeugte diese vollkommen irrationale, auf das ganze Leben übertragbare Erinnerung daran, dass irgendwie doch alles immer wieder gut werden kann. Angesichts seiner Präsenz fühlte sich der kindliche Teil der eigenen Seele beschützt und gewärmt. Vielleicht stellt das auch einen Grund dafür dar, dass der Fliesenleger Jan so ein zuversichtliches Gemüt sein eigenen nennt. Tamme Hanken beim Heilen von Pferden zu beobachten erzeugt unterm Strich eben mehr Gelassenheit als der Ersatzkrieg des Ballsports.

Tamme Hanken starb am Montag mit 56 Jahren an Herzversagen.

Oliver Uschmann (Chefredakteur)